Das Erbe der Elfen
auf, als er sah, dass Rience dem Stinkenden ein Zeichen gab, und fühlte, wie sich die Leine straffer spannte. »Ich lüge nicht!«
»Stimmt.« Rience nickte. »Du lügst nicht einfach, das würde ich spüren. Aber irgendwie redest du drum herum. Du hättest dir die Ballade nicht einfach so ausgedacht, ohne Grund. Und diesen Hexer kennst du ja. Du bist wiederholt in seiner Gesellschaft gesehen worden. Also rede, Rittersporn, wenn dir deine Gelenke lieb sind. Alles, was du weißt.«
»Diese Ciri«, presste der Dichter hervor, »war dem Hexer vorherbestimmt. Ein sogenanntes Überraschungskind ... Ihr habt sicherlich davon gehört, es ist eine bekannte Geschichte. Ihre Eltern hatten gelobt, sie dem Hexer zu übergeben ...«
»Die Eltern sollten das Kind diesem wahnsinnigen Mutanten übergeben? Diesem gedungenen Mörder? Du lügst, Versschmied. Solche Märchen kannst du den Weibern vorsingen.«
»So war es, ich schwöre es bei der Seele meiner Mutter«, schluchzte Rittersporn. »Ich weiß es aus sicherer Quelle ... Der Hexer ...«
»Red von dem Mädchen. Der Hexer interessiert mich vorerst nicht.«
»Ich weiß nichts über das Mädchen! Ich weiß nur, dass der Hexer nach Cintra geritten ist, um sie zu holen, als der Krieg ausbrach. Ich bin ihm damals begegnet. Von mir hat er von dem Gemetzel erfahren, vom Tod Calanthes ... Er hat mich nach dem Kind gefragt, nach der Enkelin der Königin ... Aber ich wusste ja, dass in Cintra alle umgekommen waren, dass in der letzten Bastion keine Menschenseele am Leben geblieben war ...«
»Rede. Weniger Metaphern. Mehr Tatsachen!«
»Als der Hexer vom Fall Cintras und von dem Gemetzel erfuhr, gab er die Reise auf. Wir flohen beide nach Norden. In Hengfors habe ich mich von ihm getrennt, seither habe ich ihn nicht gesehen ... Aber unterwegs hat er ein wenig von dieser ... dieser Ciri erzählt ... und von der Vorherbestimmung ... Also habe ich diese Ballade verfasst. Mehr weiß ich nicht, ich schwör’s!«
Rience schaute ihn unter gesenkten Brauen hervor an. »Und wo ist dieser Hexer gegenwärtig?«, fragte er. »Dieser gedungene Mörder von Ungeheuern, der poetische Schlächter, der sich gern über die Vorherbestimmung auslässt?«
»Ich habe gesagt, dass ich ihn zuletzt ...«
»Ich weiß, was du gesagt hast«, fiel ihm Rience ins Wort. »Ich höre aufmerksam zu, was du sagst. Und du hör mir aufmerksam zu. Antworte präzise auf die dir gestellten Fragen. Die Frage lautete wie folgt: Wenn seit über einem Jahr niemand den Hexer Geralt gesehen hat, wo hält er sich verborgen? Wo pflegt er sich verborgen zu halten?«
»Ich weiß nicht, wo das ist«, sagte der Troubadour rasch. »Ich lüge nicht. Ich weiß es wirklich nicht ...«
»Zu schnell, Rittersporn, zu schnell.« Rience lächelte böse. »Zu schnell. Du bist schlau, aber unvorsichtig. Du weißt nicht, sagst du, wo das ist. Aber ich wette, du weißt,
was
es ist.«
Rittersporn biss die Zähne zusammen. Vor Wut und Verzweiflung.
»Na?« Rience gab dem Stinkenden ein Zeichen. »Wo verbirgt sich der Hexer? Wie heißt dieser Ort?«
Der Dichter schwieg. Die Leine straffte sich, verdrehte ihm schmerzhaft die Arme, die Beine lösten sich vom Boden. Rittersporn heulte auf, abgehackt und kurz, denn der Ring des Zauberers knebelte ihn sofort.
»Höher, höher.« Rience stemmte die Arme in die Hüften. »Weißt du, Rittersporn, ich könnte dir magisch das Hirn sondieren, aber das ist anstrengend. Außerdem sehe ich gern zu, wie die Augen vor Schmerz aus den Höhlen treten. Und du wirst es ja doch sagen.«
Rittersporn wusste, dass er es sagen würde. Die an seinen Fußgelenken befestigte Schnur spannte sich, der kalkgefüllte Eimer rutschte knirschend über den Boden.
»Herr«, sagte plötzlich der zweite Kerl, verdeckte die Laterne mit seinem Umhang und spähte durch eine Ritze in der Stalltür. »Da kommt jemand. Anscheinend eins von den Mädchen.«
»Ihr wisst, was ihr zu tun habt«, zischte Rience. »Lösche die Laterne.«
Der Stinkende ließ die Leine los. Rittersporn fiel hilflos zu Boden, aber er sah noch, wie der mit der Laterne sich an die niedrige Tür stellte, während der Stinkende mit einem langen Messer auf der anderen Seite lauerte. Durch Ritzen in den Brettern schien das Licht des Bordells, der Dichter hörte von dort Stimmengewirr und Gesang.
Die Stalltür knarrte und ging auf, in der Öffnung stand eine nicht besonders große Gestalt, in einen Mantel gehüllt und
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