Das Erbe der Elfen
zerteilen. Sie benutzte Messer und Gabel. Rittersporn hatte bisher nur eine Person gekannt, die ebenso geschickt ein Hühnchen mit Messer und Gabel essen konnte. Jetzt wusste er, von wem Geralt das gelernt hatte. Ha, dachte er, kein Wunder, er hat fast ein Jahr lang mit ihr in ihrem Haus in Vengerberg gelebt, ehe er sich davongemacht hat; sie hat ihm so manche sonderbare Eigenart eingeimpft. Er zog das zweite Hühnchen vom Spieß, riss ohne zu überlegen eine Keule ab und begann sie abzunagen, wobei er sie demonstrativ mit beiden Händen hielt.
»Woher wußtest du es?«, fragte er. »Wie ist es dir gelungen, mir rechtzeitig zu Hilfe zu kommen?«
»Ich war während deines Auftritts unter der Bleobheris.«
»Ich habe dich nicht gesehen.«
»Ich wollte nicht gesehen werden. Später bin ich dir ins Städtchen gefolgt. Ich habe hier im Gasthof gewartet, ich konnte dir ja nicht gut dorthin folgen, wohin du gegangen warst, in dieses Etablissement zweifelhafter Freuden und eines unzweifelhaften Trippers. Aber schließlich bin ich ungeduldig geworden. Ich hab mich auf dem Hof umgesehen, als ich Stimmen zu hören meinte, die aus dem Schweinestall kamen. Ich schärfte mein Gehör, und da zeigte sich, dass das durchaus kein Sodomit war, wie ich zunächst vermutet hatte, sondern du. He, Wirt! Noch etwas Wein, bitte schön!«
»Sehr wohl, edle Dame. Kommt sofort!«
»Denselben wie vorher bitte, aber diesmal ohne Wasser. Wasser dulde ich nur im Bad, im Wein ist es mir zuwider.«
»Sehr wohl, sehr wohl!«
Yennefer schob den Teller weg. An dem Hühnchen, bemerkte Rittersporn, war noch genug Fleisch für ein Frühstück des Schankwirts und seiner Familie geblieben. Messer und Gabel waren zweifellos elegant, aber wenig effizient.
»Ich danke dir«, sagte er abermals, »für die Rettung. Dieser verfluchte Rience hätte mich nicht am Leben gelassen. Er hätte alles aus mir herausgeholt und mich wie einen Hammel abgeschlachtet.«
»Das glaube ich auch.« Sie schenkte sich und ihm Wein nach, hob den Becher. »Trinken wir also auf deine bewahrte Gesundheit, Rittersporn.«
»Auf deine, Yennefer«, erwiderte er den Trinkspruch. »Auf die Gesundheit, für die ich von heute an beten werde, wann immer sich Gelegenheit bietet. Ich stehe tief in deiner Schuld, schöne Dame, und werde diese Schuld in meinen Liedern begleichen. Ich werde darin den Mythos erschaffen, wie Zauberern fremdes Leid nicht gleichgültig ist, wie sie nicht zögern, fremden, armen, unglücklichen Sterblichen zu Hilfe zu kommen.«
»Nun ja.« Sie lächelte, deutete ein Zwinkern mit den schönen veilchenblauen Augen an. »Der Mythos hätte seine Berechtigung, er wäre nicht ohne Grund entstanden. Aber du bist kein Fremder, Rittersporn. Ich kenne dich ja und habe dich gern.«
»Wirklich?« Auch der Dichter lächelte. »Wie geschickt du das bisher verborgen hast. Ich bin sogar der Ansicht begegnet, dass du mich nicht leiden kannst wie, ich zitiere: wie die Pest.«
»So war es einmal.« Die Zauberin wurde plötzlich ernst. »Dann habe ich meine Ansicht geändert. Dann war ich dir dankbar.«
»Wofür, wenn ich fragen darf?«
»Lassen wir das«, sagte sie und spielte mit dem leeren Becher. »Widmen wir uns wieder den wichtigeren Fragen. Denen, die man dir im Stall gestellt hat, wobei man dir die Arme aus den Gelenken gedreht hat. Wie war es wirklich, Rittersporn? Hast du Geralt tatsächlich seit eurer Flucht von der Jaruga nicht mehr gesehen? Hast du wirklich nicht gewusst, dass er nach Kriegsende in den Süden zurückgekehrt ist? Dass er schwer verwundet war, so schwer, dass sogar Gerüchte über seinen Tod aufgekommen sind? Du hast von nichts gewusst?«
»Nein. Ich habe es nicht gewusst. Ich habe mich lange Zeit in Pont Vanis am Hofe von Esterad Thyssen vergnügt. Und dann bei Niedamir in Hengfors ...«
»Du wusstest nicht ...« Die Zauberin nickte, knöpfte die Jacke auf. An ihrem Hals funkelte auf schwarzem Samt ein brillantenbesetzter Obsidianstern. »Du wusstest nicht, dass Geralt, nachdem er seine Wunden kuriert hatte, ins Flussland geritten ist? Du kannst dir nicht denken, wen er dort suchte?«
»Das kann ich mir denken. Aber ob er sie gefunden hat, weiß ich nicht.«
»Du weißt es nicht«, wiederholte sie. »Du, der für gewöhnlich alles weiß und von allem singt. Sogar von so intimen Dingen wie jemandes Gefühle. Unter der Bleobheris habe ich mir deine Balladen angehört, Rittersporn. Ein paar hübsche Verse hast du meiner Person
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