Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
Der König hat es so befohlen.«
Ich nicke. Nicht gerade ein großer Gefallen, denke ich. Vor uns öffnet sich die Tür des Towers, und ich erklimme die Treppe. Ein Mann geht vor und zieht mich, während der andere von hinten schiebt. »Ich kann allein gehen«, sage ich, und da lassen sie meine Arme los, bleiben aber dicht bei mir. Meine Zelle liegt im ersten Stock, das große, verglaste Fenster geht auf den Rasen hinaus. Im Kamin brennt ein Feuer, daneben stehen ein Stuhl und ein Tisch, auf dem eine Bibel liegt, und dahinter befindet sich das Bett.
Die Männer lassen mich los und bleiben an der Tür. Der Aufseher und ich schauen einander an. »Braucht Ihr noch etwas?«, fragt er.
Fast könnte ich über diese höchst lächerliche Frage lachen. »Was zum Beispiel?«, frage ich.
Er zuckt die Achseln. »Eine besondere Speise vielleicht oder geistigen Beistand?«
Ich schüttele den Kopf. Ich weiß nicht einmal mehr, ob es noch einen Gott gibt, denn wenn Heinrich in den Augen Gottes etwas Besonderes ist und Gottes Willen kennt, dann will Gott wohl, dass ich sterbe, aber ich darf es aufgrund einer besonderen Gunst im kleinen Kreis tun. »Ich hätte gern den Block«, sage ich.
»Den Block, Mylady?«
»Ja, den Richtblock. Könnte ich ihn in die Zelle bekommen?«
»Wenn Ihr es wünscht ... Aber ... wofür braucht Ihr ihn?«
»Zum Üben«, sage ich ungeduldig. Ich gehe zum Fenster und schaue hinunter. Der Rasen wird voller Menschen sein, die einst stolz darauf waren, zu meinem Hofstaat zu gehören, Menschen, die um meine Gunst buhlten. Nun werden sie mir beim Sterben zusehen. Wenn ich es schon tun muss, dann doch lieber mit Anstand.
Der Aufseher schluckt. Natürlich versteht er meine Beweggründe nicht, er ist ein alter Mann, der in seinem Bette sterben wird, im Beisein seiner Freunde. Ich aber werde beim Sterben von Hunderten kritischer Augen beobachtet werden. Ich will es mit Anmut tun, da ich es tun muss.
»Ich werde sofort anweisen, dass er Euch gebracht wird«, sagt der alte Mann. »Und soll ich Euch nun Euren Beichtvater schicken?«
Ich nicke. Wenn Gott allerdings alles weiß und bereits beschlossen hat, dass ich so schlecht bin, dass ich vor meinem sechzehnten Geburtstag sterben soll ..., dann weiß ich nicht, welchen Sinn eine Beichte noch hat.
Der Aufseher verneigt sich und geht hinaus. Auch die Soldaten machen eine Verbeugung und schließen die Tür. Laut klirrend dreht sich der Schlüssel. Wieder gehe ich zum Fenster und schaue auf die Arbeiter und den Richtblock hinab. Es sieht so aus, als sollten sie heute Nacht noch fertig werden. Vielleicht auch erst morgen.
J ANE B OLEYN , T OWER , 13. F EBRUAR 1542
Heute soll sie enthauptet werden, und schon jetzt sammelt sich eine Menschenmenge auf dem Rasenstück. Ich erkenne so viele bekannte Gesichter. Es sind die Freunde und Rivalen vieler Jahre; wir waren Kinder, als Heinrich VII. auf dem Thron saß, und manche von uns waren Hofdamen bei Katharina von Aragon. Fröhlich winke ich ihnen zu, und einige sehen mich, zeigen mit dem Finger auf mich und starren mich an.
Da ist ja der Richtblock! Sie hatten ihn irgendwo hingebracht, und nun heben zwei der Arbeiter ihn wieder auf das Schafott und verteilen ringsherum Sägemehl. Dieses dient dazu, ihr Blut aufzufangen. Unter dem Schafott befindet sich ein strohgefüllter Korb für ihren Kopf. Ich weiß dies alles, weil ich es schon einmal, öfter als einmal, gesehen habe. Heinrich ist ein König, der oft der Dienste des Henkers bedarf, sehr oft in letzter Zeit. Ich war bei der Enthauptung Anne Boleyns dabei, ich sah sie die flachen Stufen zum Schafott emporschreiten, ich sah sie vor der Menge stehen, ihre Sünden beichten und für ihre Seele beten. Sie schaute über unsere Köpfe hinweg zum Tor des Towers, als warte sie auf die Begnadigung, die ihr versprochen worden war. Doch diese traf nicht ein, und sie musste sich hinknien und ihren Kopf auf den Block legen und ihre Arme ausstrecken, zum Zeichen, dass der Schlag geführt werden könne. Ich habe mich oft gefragt, was für ein Gefühl das wohl ist, wenn man die Arme ausstreckt, als flöge man, und dann im nächsten Augenblick das Sausen und das Hochfliegen der Haare mit dem Wind der sausenden Klinge und dann ...
Nun, Katherine wird es bald genug erfahren. Hinter mir öffnet sich die Tür, und ein Priester betritt meine Zelle, ein sehr ernst aussehender Geistlicher mit einer Bibel und einem Gebetbuch, das er an die Brust drückt.
»Mein Kind«, sagt er.
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