Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
sein Urteil war bereits vom König unterzeichnet worden, die Hinrichtung auf den nächsten Tag festgesetzt. Er wäre an dem Ort geköpft worden, wo auch seine beiden Nichten enthauptet wurden, aber in der Nacht vor seiner Hinrichtung raffte der Tod seinen Herrn, den König, dahin.
Wie viele Menschenleben hat dieser König auf dem Gewissen? Nun, da der Tod seine Ernte gehalten hat, können wir anfangen zu zählen. Es sind Tausende. Niemand hat sie je gezählt. Landauf, landab sind Menschen unter der Anklage der Ketzerei verbrannt, unter der Anklage des Hochverrats gehängt worden. Tausende und Abertausende von Männern und Frauen, deren einziges Verbrechen darin bestand, eine andere Meinung zu vertreten als der König: Papisten, die zum Bekenntnis ihrer Väter hielten, Reformisten, die neue Wege gehen wollten. Und auch die kleine Kitty Howard ist unter den Toten, deren einziges Verbrechen darin bestand, einen jungen Mann zu lieben und nicht einen Mann, der ihr Vater hätte sein können und der vom Bein aufwärts verweste. Und diesen Mann nennen sie nun einen großen König, den besten König, den England je hatte. Lehrt uns dies nicht, dass wir keinen König haben sollten? Dass ein Volk frei sein sollte? Dass ein Tyrann auch dann ein Tyrann ist, wenn unter der Krone ein anziehendes Gesicht sitzt?
Ich denke an das Erbe der Boleyns, das Lady Rochford so viel bedeutete. Am Ende war sie tatsächlich die Erbin. Sie erbte den Tod ihrer Schwägerin und den Tod ihres Ehemannes. Auch Kitty war eine Erbin dieser Todeslinie. Und selbst ich habe einen Anteil am Erbe der Boleyns: diese hübsche kleine Burg in Kent, einen meiner bevorzugten Landsitze.
Also ist es vorbei. Ich werde um des Königs willen Trauerkleidung tragen, und dann werde ich der Krönung des Prinzen beiwohnen. Ich bin die geworden, die zu sein ich mir versprach, sollte ich Heinrichs Henkersbeil entrinnen. Ich versprach mir, dass ich mein eigenes Leben leben würde, dass ich als eigenständige Frau in dieser Welt leben wollte: Und dieses Versprechen habe ich erfüllt.
Ich bin jetzt eine freie Frau, befreit von ihm und am Ende auch befreit von aller Angst. Wenn es nachts an meine Tür klopft, dann fahre ich nicht mit hämmerndem Herzen auf und denke, dass mich nun das Unglück ereilt, dass er seine Soldaten geschickt hat. Wenn ein Fremder an meine Tür klopft, sehe ich in ihm keinen Spion. Wenn man mich nach Neuigkeiten vom Hofe fragt, fürchte ich keine Falle.
Ich werde mir eine Katze halten und nicht befürchten müssen, deswegen als Hexe bezeichnet zu werden. Ich werde tanzen und nicht fürchten, deshalb eine Dirne genannt zu werden. Ich werde ausreiten, wohin und wann ich will. Ich werde mich in die Lüfte schwingen wie der weiße Gerfalke. Ich werde mein eigenes Leben leben und mir selbst Freude machen. Ich werde eine freie Frau sein.
Dies ist keine Kleinigkeit für eine Frau: die Freiheit.
A NMERKUNG DER A UTORIN
Über Anna von Kleve und Katherine Howard als Ehefrauen Heinrichs VIII. ist nicht viel bekannt, doch wie häufig in solchen Fällen wähnen wir, sie zu kennen. In meiner fiktiven Darstellung ihrer Schicksale habe ich versucht, das vorherrschende Bild zu widerlegen, dass die eine hässlich und die andere einfältig war. Stattdessen wollte ich den Lebensumständen dieser sehr jungen Frauen gerecht werden, die jeweils für kurze Zeit die wichtigsten Frauen Englands waren, Ehefrauen eines Monarchen, der am Rande des Wahnsinns stand.
Die wichtigsten geschichtlichen Fakten habe ich präzise eingearbeitet. Über Anna von Kleves Kindheit ist nicht viel bekannt, doch ich glaube, dass die Krankheit ihres Vaters und die Herrschsucht ihres Bruders eine nicht zu unterschätzende Rolle bei ihrer Entscheidung spielten, trotz aller Gefahr in England zu bleiben. Zu jener Zeit wurden ihre hübsche Erscheinung und ihre Anmut im ganzen Land gerühmt, wie am Bildnis Holbeins nachzuvollziehen ist. Ich glaube, es lag an jener ersten katastrophal verlaufenden Begegnung in Rochester, dass Heinrich seine künftige Ehefrau aus gekränkter Eitelkeit ablehnte. Dass man Anna von Kleve der Hexerei oder des Hochverrats zeihen wollte, um eine Scheidung zu umgehen, ist gut dokumentiert, besonders durch die Historikerin Retha Warnicke; diese Beschuldigungen waren ebenso eine Lüge wie andere »Beweise« bezüglich ihrer Ehe, die dem Untersuchungsgericht vorgelegt wurden.
Über Katherine Howards Kindheit wissen wir mehr, doch die Fakten stammen fast ausschließlich
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