Das Erbe Der Loge: Roman
ich von ihm weiß, habe ich von meinem Vater. Aber wie ich das Geschäft kenne, muss man sich sehr lange um eine Reputation bemühen, um in dieser Branche einen Namen zu bekommen. Also gehe ich davon aus, dass dem so war. Worauf wollen Sie hinaus?«
»Auf den Inhalt des Kastens.«
Es hatte keinen Sinn, sie länger hinzuhalten. Mehr Beweise der Ernsthaftigkeit ihrer Nachforschung empfand ich langsam als Quälerei für uns beide, und ich war ja selbst an diesem mysteriösen Fund interessiert.
Also erzählte ich ihr, was der Fund beinhaltet hatte.
»Wo ist der Kasten jetzt?«, fragte sie nach einer langen Pause, in der sie ruhelos das Zimmer auf und ab gegangen war und fortwährend den Deckel ihres Feuerzeuges hatte auf- und zuschnappen lassen.
»Als gestohlen gemeldet.«
»So, so ...«, war ihr einziger Kommentar, als überrasche sie das nicht im Geringsten, und sie setzte den Rundgang fort.
»War es solch ein Spiel?« Sie zog ein Lederetui aus der Mappe und schob es mir hin.
Es war das gleiche Leder, das ich kurz in der Hand gehabt hatte. Nur war es an den Nähten etwas abgegriffener. Das im Kasten hatte den Eindruck gemacht, als sei es noch nie benutzt worden. Bei diesem wiesen die Karten an den Rändern deutliche Gebrauchsspuren auf, wogegen die anderen wie frisch aus der Druckerei gewirkt hatten.
»Kennen Sie Tarot?« Sie ließ sie sich wieder mir gegenüber nieder.
»Nein.«
»Ich zeige es Ihnen mal anhand der zweiundzwanzig Trumpfkarten - insgesamt sind es achtundsiebzig Karten mit unterschiedlicher Wertung -, was es damit auf sich hat.«
Gekonnt mischte sie die Karten und breitete sie mit dem Bild nach unten vor mir aus.
»Konzentrieren Sie sich auf etwas und deuten Sie auf eine beliebige Karte.«
Kartenspiele waren nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung, daher zögerte ich. »Und was kommt dabei heraus?«
Hannah lächelte seit Stunden mal wieder und lehnte sich zurück.
»Tarot - niemand weiß so richtig, wo es eigentlich herkommt -wird das mystische Spiel oder Spiel der Seele genannt. Die Wertigkeiten der Karten sind eng mit der Kabbalah, dem jüdischen Mystizismus, verknüpft. Daher gilt es in der katholischen Religion als Satansspiel. Aber das Dreieck auf diesem Buch und dem Kasten sind ein Synonym sowohl für das mystische Dreieck der Kabbalah wie auch für die christliche Dreifaltigkeit. Ersparen Sie mir, ins Detail gehen zu müssen. Sonst sitzen wir noch in einem Jahr hier. Also los, deuten Sie auf eine Karte.«
Meine Hand kreiste über den zweiundzwanzig Karten wie eine Wolke, die sich nicht entscheiden konnte, wohin sie den in ihr schlummernden Blitz schleudern sollte.
»Sie müssen sich etwas vorstellen«, flüsterte Hannah ganz leise, als wolle sie mir einen Gedanken einhauchen.
»Diese hier«, ließ ich endlich meinen Finger landen.
»Halt!« Sie rutschte auf die Sofakante vor. »Sind Sie sich ganz sicher, dass es diese Karte sein muss, oder wäre auch eine andere möglich?«
Irritiert zog ich meine Hand zurück und überlegte. Warum war es plötzlich so schwierig, aus nur zweiundzwanzig Möglichkeiten eine Entscheidung zu treffen? Ich empfand das erste Mal in meinem Leben, dass ein doch relativ begrenztes Angebot unsere menschlichen Fähigkeiten, nur ein Entweder-Oder zu sehen, schon bei weitem überstieg und ein mickriges Vielleicht als Frucht gebar. Die Frucht, die alles beinhaltete, was mit »das geht mich nichts an« so einfach dahergesagt wurde.
Wütend über meine Zögerlichkeit beharrte ich auf dieser Karte, und Hannah deckte sie mit einer lasziven Handbewegung auf.
»Es ist die Sieben, auch der Wagen genannt«, hielt sie die Karte hoch.
»An Ihrem Gesicht sehe ich, dass Sie eine Verbindung zu dieser Karte herstellen können«, flüsterte sie, als wolle sie mich jetzt nicht noch zusätzlich erschrecken.
Denn ich war erschrocken, da ich an genau diese Karte gedacht hatte. Es war die Karte, die neben dem toten Dr. Seid unter dem Auto gelegen hatte.
»Und was bedeutet diese Karte?«, presste ich mit einem Kloß im Hals hervor.
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
»Eigentlich nichts Schlechtes. Die Sieben war schon immer eine heilige Zahl. Die Zahl der Vollendung. Sie bedeutet aber auch Aufbruch, wenn man gewillt ist zu erkennen, dass in der Vergangenheit Fehler gemacht wurden. Erneuerung also.«
Vollendung. Das war der richtige Ausdruck für den Tod eines Politikers.
Der Mörder schien diese Karte wohl gewählt zu haben. Er wollte etwas damit sagen. Und zwar
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