Lesereise Kulinarium - Italien
Warnhinweis
Vorwort
Es gibt sicherlich kein Land, das man stärker mit kulinarischen Wohlgenüssen verbindet als Italien. Sicher, auch Frankreich weist gern auf seine Haute Cuisine hin und Österreich auf die donaumonarchische Vielfalt seiner Küche. Aber ein Blick auf den aktuellen Stand der Globalisierung klärt die Frage, wer die Nase vorn hat, eindeutig. Kaum ein besiedeltes Stück Land ist vorstellbar, wo spaghetti, pizza und espresso nicht Einzug gehalten hätten.
Dennoch – oder gerade deshalb – gehören die kulinarischen Sehnsüchte sicherlich zu den wichtigsten Motiven für eine Reise nach Italien. (Gäbe es nicht den kulturellen Reichtum und die landschaftliche Vielfalt, könnte man meinen, die Karawanen der Ausländer zöge es wirklich nur an Italiens Tische.) Doch gerade die Transformation dieser Genüsse bei ihrer Reise um die Welt macht den Unterschied so spürbar. Wo sonst wird die Erzeugung und Zubereitung von Speisen und Getränken mit solcher Ernsthaftigkeit und Würde betrieben wie in Italien, gleichzeitig mit vergleichbarer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit?
Wer einen barista und seine Besatzung hinter dem Bartresen bei ihrem geschäftigen und kundigen Treiben beobachtet, wer die sonntäglichen Familienausflüge ins ristorante erlebt und die nuancenreichen Diskussionen über Zubereitungsvarianten, die den Bestellungen vorangehen, wer sich selbst in einfachsten trattorie an der bedachten Inszenierung und den Stoffservietten erfreut hat, wer sich durch die Menschenmenge auf einem der üppigen italienischen Märkte gezwängt hat, der weiß, um wie viel näher Italiener am Paradies leben.
Hinter der allgegenwärtigen täglichen Kochkunst verbirgt sich freilich jahrhundertealte Landwirtschaftskunst, die garantiert, dass Käse wie Käse schmeckt und Schinken, Wein und Olivenöl ihrem Namen gerecht werden.
Wenn Bücher auch gern als Genussmittel bezeichnet werden, so können sie doch Tafelfreuden nicht ersetzen. Der vorliegende Sammelband mit den schönsten kulinarischen Reportagen aus der Reihe Picus Lesereisen will das auch ebenso wenig, wie er Kochbuch oder Ratgeber sein kann. In neunzehn Beiträgen aus nahezu allen Teilen Italiens erzählen unsere Autorinnen und Autoren vielmehr die Geschichten hinter dem Vertrauten und ermöglichen so einen Blick, der dem Reisenden zumeist verborgen bleibt.
So muss an dieser Stelle vor den Nebenwirkungen gewarnt werden: Achtung, dieses Buch kann Reisefieber, Hunger und Durst auslösen. Auf dem Weg dorthin wünschen wir jedoch viel Vergnügen.
Dorothea Löcker &
Alexander Potyka
Der Duft der kleinen weiten Welt
Eine italienische Institution: die Espressobar
Man riecht es und man hört es – Italien. Man läuft durch irgendeine wunderhübsche Altstadtgasse oder ein lausig peripheres Viertel und hat auf einmal diesen Duft in der Nase, verführerisch und stark. Man folgt ihm, und man hört im Näherkommen zwei schnelle harte Hiebe auf Gummi oder Holz: Der Barmann hat gerade den Schwengel, der in einer runden Mulde das Kaffeepulver enthält, in eine Schublade entleert und füllt ihn nun von Neuem, das dunkle Mehl mit einem Stampferchen verteilend. Er klinkt den Schwengel an der Espressomaschine ein, öffnet den Dampfhahn und aus dem Ausguss rinnt sämig jene braune Brühe, die der Treibstoff Italiens ist. Man ist, kurzum, in einer Kaffeebar gelandet, und kaum hat der barista mit der weißen Schürze die Bestellung vernommen, da landet schon mit schwungvollem Geklapper eine dickliche Untertasse auf dem Tresen, gefolgt von einem silbernen Löffelchen.
Italien ohne Espressobar, das wäre wie die Schweiz ohne Käse, wie Österreich ohne Wien, wie Deutschland ohne Autobahn, wie die USA ohne Trommelrevolver. Die Kaffeebar ist eine Stütze des gesellschaftlichen Gesamtgefüges, ein Nationalmerkmal in hundertzweiundvierzigtausendfacher Ausführung, das aus dem Land so wenig wegzudenken ist wie die katholische Kirche, die carabinieri und die Zeitungskioske. Kein Dörfchen ohne bar centrale und keine Stadt ohne Dutzende, Hunderte, ja Tausende von Stehlokalen, aus denen es duftet, klappert und nach harten Hieben klingt. »Die Bar ist die einzige italienische Institution, die funktioniert«, sagt Signora Cuneo, Malerin und Antiquarin.
Die Signora hat ihre Stammbar seit Jahrzehnten in der Via dei Coronari Nr. 183 im Zentrum von Rom. Antonio Santoni, der vierundvierzigjährige Inhaber, der schon als Vierzehnjähriger unter Vaters Regie hier zu arbeiten begann,
Weitere Kostenlose Bücher