Das Erbe der Phaetonen
hörte Melnikow auch schon das Klicken des Fotoapparates – Wtorow hatte den Unbekannten aufge- nommen.
Mit langsamen, gleitenden Bewegungen streckte der geheim- nisvolle Hausherr die Hände gegen sie aus, als wolle er die Erdenmenschen willkommen heißen.
Da merkten die beiden Raumfahrer, daß sie keinen lebenden Menschen, sondern offenbar die wundersame Erscheinung eines längst Verstorbenen vor sich hatten. Kristallene Fäden durch- drangen seinen ganzen Körper, die Bewegungen waren kaum merklich abrupt.
Jetzt begriffen die beiden Kosmonauten den Sinn des Gan- zen. Die unbekannten Herren des Raumschiffes hatten bereits vor Tausenden von Jahren die Ankunft der Erdenmenschen auf der Venus vorausgesehen und sich auf sie vorbereitet. Sie be- grüßten die Gäste mit Hilfe ihrer vollendeten Technik. Vor Melnikow und Wtorow stand der wieder zum Leben erweckte Schatten einer fernen Vergangenheit.
Und der Schatten fing an zu sprechen. Sie vernahmen melodi- sche Töne, die sich wie ein getragenes Lied anhörten.
Tief bewegt lauschten sie der Stimme des längst gestorbenen Bewohners eines anderen Planeten, den Begrüßungsworten eines älteren Bruders an sie, die er nicht kannte, an deren Kommen er aber schon vor Jahrtausenden geglaubt hatte.
Die Stimme verstummte. Als zerschmelze sie, verschwand auch die Erscheinung. In der Schnelligkeit der einander kreu- zenden Fäden verdichtete sich die blaue Finsternis zu einem festen Vorhang. Wieder schimmerte die Querwand in gelb- grauem Glanz, als habe es nie eine Erscheinung gegeben.
Und wie zum Beweis, daß die Menschen an der Bedeutsam- keit des soeben Geschauten nicht zu zweifeln brauchten, öffnete sich einladend die Tür zur nächsten Abteilung.
Sie war erfüllt von dem gleichen gedämpften hellblauen Licht. Doch gab es hier weder Zylinder noch einen „gläsernen“ Steg. Ein ganz anderer Anblick tat sich auf.
„Über Jahrtausende hinweg“, sagte Melnikow, „haben uns die ersten Menschen, die die Venus besuchten, ihre brüderlichen Grüße entboten. Wir wissen nicht, wie und weshalb sie hier um- gekommen und nicht in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Aber wir müssen und werden es erfahren. Wir sind ihre Erben.“
Der fünfte Planet
Schon hat die Wissenschaft gewaltige Gipfel erstürmt, von denen sich weite Blicke auftun. Wir „sehen“ unzählige Welten, die wie die Erde von vernünftigen Wesen bewohnt sind und auf denen sich, wie bei uns, das Leben langsam und allmählich, aber unaufhaltsam höher entwickelt.
So wie der Tod des Einzelmenschen nicht das Dasein der Menschheit beendet, kann auch der Tod der Menschheit nicht das Ende des Lebens auf anderen Welten bedeuten. Selbst wenn wir annehmen wollten, im ganzen uns sichtbaren Weltall würde das Leben ausgelöscht, bliebe es doch immer noch dort erhalten, wo der Blick des Menschen nicht (oder besser, noch nicht) hindringt.
Es gab eine Zeit, da unser Sonnensystem nicht neun, sondern zehn Planeten umfaßte. Zwischen Mars und Jupiter kreiste, von der Sonne aus gerechnet, ein fünfter Planet. Er ging zugrunde. Wie und weshalb, weiß niemand. Doch was heute noch unbe- kannt ist, wird morgen bekannt sein.
Die Bewohner des fünften Planeten verschwanden aus dem Weltall. Ihr Geist jedoch, der einen langen und beschwerlichen Entwicklungsweg zurückgelegt hatte, war bereits mächtig ge- nug, um anderen Welten, anderen vernünftigen Wesen von sei- ner einstigen Existenz Kunde zu hinterlassen. Die Bewohner des zum Untergang verurteilten Planeten verstanden Raum- schiffe zu bauen, um mit ihnen die sterbende Heimat zu verlas- sen. Daß eins dieser Raumschiffe auf der Venus lag, zeugte da- von, daß sie es wirklich getan hatten.
Doch war dies ihr einziges Raumschiff? Wohin hatten sich die anderen gerettet? Wo hatten die verwaisten Bewohner des Pla- neten Asyl gefunden? Auch das wird einmal erforscht werden.
Eines der Raumschiffe hatte jedenfalls die Venus erreicht und
war nun entdeckt worden. Seine Erbauer hatten sehr wohl ge- wußt, daß ihr Heimatplanet nicht die einzige von vernunft- begabten Wesen bewohnte Welt war. Sie glaubten fest daran, daß früher oder später die Bewohner anderer Planeten auf der Venus erscheinen würden. Sie wußten auch, daß ihr Raumschiff Jahrtausende überdauern konnte, und glaubten, daß der Ver- stand der ihnen noch unbekannten Weltraumfahrer dem ihren gleichen würde. Und da sie dies alles
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