Das Erbe der Phaetonen
Menschen nichts von der Existenz der Phaetonen gewußt und hatten sie nicht ihre Erfahrungen mit dem ring förmigen Raumschiff gehabt, wären sie sicher nie darauf gekom- men, wie der Einstieg zu öffnen war. So aber trafen sie auf Alt- vertrautes. Die Tür erwartete den gedanklichen Befehl der Menschen.
Wtorows Stunde war gekommen. In Begleitung Kamows, Melnikows und Semjonows kletterte er in den Schacht.
Der entscheidende Moment nahte.
Es war ein langer Weg gewesen bis zu diesem Augenblick. Vor Wtorows innerem Auge tauchten noch einmal die Felsen der Arsena auf, der runde Talkessel, die steinernen Schalen der Venusianer, das ringförmige Raumschiff der Phaetonen und schließlich seine und Melnikows lange qualvolle Odyssee. Dann die vier Kugeln im Laboratorium, die geheimnisvolle Stimme – und nun standen sie hier, am Südpol, sechzig Meter unter der Erdoberfläche, und sahen die schmale Linie vor sich, die den Eingang bezeichnete.
Was befand sich dahinter?
Die Zeitungen und Zeitschriften der ganzen Welt hatten in diesen Tagen Tausende von Vermutungen und Spekulationen geäußert. In dem sorgfältig verborgenen Aufbewahrungsort der Phaetonen, am unzugänglichsten Punkt des Erdballs, erwartete man alles mögliche zu finden. Die überwiegende Mehrheit aber meinte, man werde dort „sprechende Maschinen“ und „Filme“ entdecken. Wahrscheinlich ebensolche Apparate, wie man sie von der Arsena mitgebracht hatte, nur noch größer, die alles enthielten, was die Phaetonen für notwendig erachtet hatten, den Menschen als Erbe zu hinterlassen. Und „Filme“ in der Art desjenigen, den Melnikow und Wtorow in dem fremden Raum- schiff gesehen hatten.
Durch die Kombination von Film und Sprechapparat ließ sich sehr viel erklären und vermitteln.
Dabei vergaßen die Menschen freilich den gewaltigen Unter- schied zwischen der Wissenschaft des Phaeton und derjenigen der Erde, besser gesagt, sie kannten ihn überhaupt noch nicht. Alle wußten zwar, daß die Phaetonen den Menschen weit vor- aus gewesen waren, aber niemand hatte auch nur einen an- nähernden Begriff davon, wie groß die Kluft in Wahrheit war, die sie voneinander trennte.
Wtorow öffnete nicht zum erstenmal durch gedanklichen Be- fehl phaetonische Türen. Jetzt war er besonders aufgeregt.
Von oben strahlte ein Scheinwerfer in den Schacht. Das blaue Fünfeck war deutlich zu erkennen. Wtorow starrte es an – er wollte abwarten, bis sich sein Herz beruhigt hatte.
Semjonow, Kamow und Melnikow erschien die Zeit endlos. Wurde Wtorow mit der Aufgabe nicht fertig?
Er schloß die Augen, beschwor das Fünfeck in seiner Vor- stellung.
Und gehorsam vollzog sich das Wunder der phaetonischen Technik.
Das Metall innerhalb des Fünfecks trübte sich, verschwand zusehends, als löse es sich in einer unsichtbaren Säure auf. Schon erglänzten die gelbgrauen Stufen einer schmalen Treppe im Scheinwerferlicht. Sie führten in eine dunkle Tiefe.
Das Erbe der Phaetonen
Die vier konnten sich nicht gleich entschließen, die Treppe hin- unterzusteigen, obwohl sie zweifellos eigens für sie geschaffen worden war.
Kamow kletterte wieder an die Oberfläche, um den ungedul- dig wartenden Wissenschaftlern von dem bisherigen Erfolg zu berichten.
Er kehrte mit vier Gasmasken zurück.
„Man empfiehlt uns, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen“, teilte er mit. „Dort unten könnten sich schädliche Gase angesammelt haben.“
„Woher denn? Der Aufbewahrungsort war doch hermetisch abgeschlossen“, wandte Wtorow ein. „Und in ihm befindet sich die gleiche Luft wie oben auf der Erde.“
„Eben. Es ist zwar die Luft der Erde, aber die von vor et- lichen hunderttausend Jahren.“
„Die atmen wir doch aber jetzt auch schon.“
„Keineswegs“, entgegnete Melnikow. „Erinnere dich, daß keine Luft nach außen drang, wenn sich die Türen des phaeto- nischen Raumschiffs im leeren Raum öffneten.“
Bei diesen Worten blickten alle auf die Öffnung zu ihren Füßen. Nichts schien die Männer zu hindern, sie zu passieren. Aber der Schein konnte trügen.
Melnikow blickte sich und steckte die Hand durch die Öff- nung. Sie ging hindurch, aber er fühlte deutlich einen Wider- stand. Der unsichtbare Vorhang glich einem elastischen Gewebe. Er „zerriß““ unter dem Druck seiner Hand, umschloß das Gelenk jedoch stramm und fest.
Der Eingang
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