Das Erbe der Pilgerin
worden war. Kein Bittsteller durfte das Wort an den Emir richten, bevor er dazu aufgefordert worden war.
Der Emir wandte sich nun erst mal an den Diener neben ihm.
»Die … Juden aus Moxacar?«, vergewisserte er sich.
Der Mann nickte.
Der Emir, ein noch junger Mann mit heller Haut, aber schwarzem Bart und Haar, machte eine huldvolle Geste, mit der er seinen Besuchern erlaubte, aus der liegenden in eine kniende Haltung zu wechseln. Miriams dunkler Reiseumhang verrutschte dabei ein wenig und gab den Blick auf den festlichen Staat frei, den sie darunter trug.
»Du bist die Sterndeuterin?«, fragte er verwundert. »Bei Allah, dich hatte ich mir anders vorgestellt! Man denkt da doch mehr an eine alte Vettel.«
Miriam hob den Blick und ließ ihn das Leuchten ihrer Augen sehen. »Es wird mich bis an mein Ende betrüben«, sagte sie, »dass mein Anblick meinen großmütigen Herrn enttäuschte.«
Der Emir lachte schallend. »Es hieße, Allahs Gnade und Großmut zu beleidigen, würde ich mich enttäuscht zeigen ob der Schönheit, mit der er dich gesegnet hat«, erklärte er dann galant. »Ich mag dein Herr und Herrscher sein, aber ich verharre in Demut vor deinem Anblick.« Miriam lächelte verschämt. »Wobei Allah dich wohl auch noch mit anderen Gaben überschüttet hat. Aber darüber …« Der Emir erhob sich. »Volk von Granada, ich werde diese Audienz jetzt beenden. Mit Allahs Hilfe habe ich versucht, all eure Fragen zu beantworten und eure Streitigkeiten zu schlichten. Am Ausgang erwartet euch ein kleines Geschenk. Ich danke euch für euer Vertrauen. Gott leite euch sicher in eure Wohnungen!« Während die Menschen im Saal applaudierten, wandte sich der Emir an Abram und Miriam. »Und ihr folgt mir bitte in meine Privaträume. Es gibt Dinge zu besprechen, die nicht jeder hören muss …«
Der Emir begab sich heraus, und der erleichterte Abram bewunderte nicht nur seine königliche Haltung, sondern besonders den kostbaren Brokat seiner Kleidung. Es musste tatsächlich lukrativ sein, diesen Hof zu beliefern, vielleicht sollte er sich doch etwas mehr um Aufträge bemühen, die auch vor den Augen seines Vaters bestehen konnten.
Der Diener verneigte sich nun sowohl vor ihm als auch vor Miriam und wies die beiden an, ihm zu folgen. Kurz darauf befanden sie sich in einem kleineren, mit Kissen und zum Sitzen einladenden Podesten versehenen Raum, dessen Wände mit kunstvoll ineinander verschlungenen Blütenranken bemalt waren. Ein Diener kredenzte Fruchtgetränke und in Honig getauchtes Gebäck. Der Emir trat eben durch eine andere Tür ein. Er hatte den schweren Brokatmantel gegen ein kaum weniger wertvolles seidenes Hausgewand eingetauscht. Miriam verstand den Wink und ließ ihren schweren Reisemantel sinken. Der Emir konnte den Blick kaum von ihr wenden, nahm sich dann aber zusammen.
»Also: Was hast du ihr gesagt?«, wandte er sich ohne weitere Vorrede an Miriam.
Die junge Frau runzelte die Stirn. »Wem … gesagt?«
»Susana. Die nun Ayesha heißt, seit sie den Islam angenommen hat. Du hast ihr die Sterne gedeutet. Und … du hast eine Veränderung erzielt, an die nie … nie zu denken gewesen wäre. Was hast du ihr gesagt?« Der Emir ließ sich auf einem der Sitzkissen nieder und gestattete auch Miriam und Abram Platz zu nehmen.
Miriam errötete. »Ich … habe ihr geschrieben, dass die Sterne ihr ein wundervolles Leben voller Sicherheit und Liebe zeigen würden. Ich meine, das stimmt doch, im … im Harem des Emirs …«, stotterte sie.
Miriam zumindest war nichts eingefallen, was der jungen Frau in den Frauengemächern des Palastes passieren konnte. Sicher gab es Haremsintrigen. Aber Susana war gläubige Christin und Sklavin gewesen – viel zu niedrig in der Hierarchie des Harems, dass jemand ihr nach dem Leben trachten könnte.
»Und?«, fragte der Herrscher weiter.
»Nun, dass … ihr Leben in der letzten Zeit eine Wende genommen habe …« Das war nicht schwer zu erraten gewesen. Susana war bei einem Überfall der Mauren auf eine christliche Siedlung in Kastilien gefangen genommen worden. Da sie eine erlesene Schönheit war, hatte sie ihr Weg über einen Sklavenhändler zum Wesir des Statthalters von Murcia geführt, der sie dem Emir von Granada zum Geschenk machte. Miriam konnte dem Eunuchen, der ihren Brief beförderte, zwar keine näheren Umstände entlocken, aber es war offensichtlich, dass die junge Frau mit ihrem Schicksal haderte. »… aber dass die dunkelste Strecke ihrer Reise jetzt hinter
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