Das Erbe der Pilgerin
gab es nie.
»Gut«, sagte der Emir. »Also werde ich offen reden. Die Christen bedrohen uns, offiziell, weil wir ihren Gott nicht anbeten – aber sicher auch aus Neid um unseren Reichtum. Der Papst ruft einen Kreuzzug nach dem anderen aus – zurzeit geifert er gegen christliche Abtrünnige, die in Frankreich sitzen. Aber auf die Dauer geht es gegen uns, ich bin mir da sicher. Und trotz aller Hilfstruppen, oft aus Marokko oder anderen afrikanischen Ländern, die uns unterstützen, können wir nicht viel ausrichten, die Christen sind stark. Gerade, wenn sie ihre Kirche hinter sich wissen.«
»Die vergibt ihnen ja auch schon im Vorfeld alle Sünden«, meinte Abram bitter.
Der Emir nickte. »Sie sind gefährlich. Deshalb will ich mir nicht mehr Feinde unter ihnen machen, als es unbedingt nötig ist. Weshalb ich denn auch die Völlerei, Bosheit und Dummheit dieses Grafen von Toulouse unter meinem Dach dulde …«
»Was will der Mann denn hier?«, erkundigte sich Abram vorsichtig.
Der Emir lächelte. »Er ist auf der Jagd nach einer Reliquie«, erklärte er. »Der Herr ist verliebt. Er hat vor Kurzem eine Prinzessin aus Aragón geheiratet, nachdem er vorher schon drei oder vier Frauen verstoßen hat. Der allerbeste Christ scheint er also nicht zu sein. Aber die Neue, Leonor von Aragón, ist eine glühende Verehrerin der heiligen Perpetua. Die soll man irgendwann in Karthago den Löwen vorgeworfen haben. Zur Römerzeit. Nun ja, und nun wünscht sie sich einen Körperteil der Toten für ihre Hauskapelle.«
»Und den sucht ihr Gatte in Granada?«, fragte Abram. »Wie kommt er darauf?«
»Irgendjemand hat ihm das geraten«, meinte der Emir schulterzuckend. »Und was uns angeht, so fragen wir jetzt herum. Aber entweder haben die christlichen Gemeinden in diesem Emirat keine Reliquie der Perpetua, oder sie geben es nicht zu. Die wollen ihre Heiligtümer ja auch behalten. Außerdem … ich will gar nicht drum herumreden, erst recht nicht im Gespräch mit einem Kaufmann. Wenn sie sich davon trennen würden, so wäre es sehr teuer.«
Abram grinste. »Und nun denkst du, dass ich …«
Der Emir zwinkerte ihm zu. »Du bist dafür berühmt, selbst das Pferd Mohammeds wieder lebendig zu machen«, bemerkte er. »Wie erklärst du nur den Verlust all dieser Mähnenhaare auf dem direkten Flug in den Himmel über Jerusalem …? Aber zurück zur heiligen Perpetua – sie sollte doch keine Schwierigkeit für dich darstellen.«
Abram lächelte. »Ein bisschen Zeit für die Suche musst du mir schon geben. Zumal die Löwen ja wahrscheinlich nicht viel übrig gelassen haben. Fressen Katzen nicht alles bis auf die Gallenblase?«
Der Emir nickte ernst. »Ein Echtheitszertifikat sollte natürlich auch dabei sein«, meinte er. »Aber ich sehe schon, wir verstehen uns.«
Abram verbeugte sich, wurde das flaue Gefühl aber immer noch nicht los, das ihn seit der Einladung des Emirs plagte. Sollte das wirklich alles gewesen sein, weshalb man sie nach Granada beordert hatte? Ein Dankgeschenk für Miriam und die Bestellung einer Reliquie hätte sich auch mittels eines Boten organisieren lassen.
»Das zweite Anliegen, das ich an euch habe, ist sehr viel delikater.« Der Emir nahm einen Schluck von seinem Fruchtsaft, bevor er weitersprach. »Es würde euch einige Opfer abverlangen. Wobei ich euch weder zwingen kann noch will. Nach meinen Erfahrungen ist Zwang eher abträglich, wenn man auf die diplomatischen Fähigkeiten eines Untertanen angewiesen ist …« Der Emir ließ seinen Blick von Abram zu Miriam wandern.
»Diplomatische Fähigkeiten?«, fragte die junge Frau.
Der Emir nickte. »Es ist so, dass unser Herr Graf von Toulouse ein großer Anhänger der Sterndeuterei ist. Er hatte stets einen Hofastrologen, aber mit dem augenblicklichen ist er unzufrieden. Was kein Wunder ist, der Mann ist uralt und fast blind. Der kann die Sterne kaum noch erkennen. Und nun hat man ihm in Aragón gesagt, dass niemand weiter fortgeschritten ist in der Erforschung der Sterne als die Meister in Al Andalus …«
»Das stimmt, Herr!«, sagte Miriam überzeugt. »Ich habe mir immer gewünscht, von ihnen lernen zu dürfen. Aber natürlich unterrichten sie keine Frauen – das ist hier auch nicht anders als im Abendland. Also blieben mir nur ihre Bücher.«
Der Emir lächelte. »Oh!«, bemerkte er. »Da gibt es also doch etwas, womit ich dich locken kann, die Herren Sterngucker könnte ich zwingen … Aber bleiben wir bei Graf Raymond. Der hätte gern einen
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