Das Erbe der Pilgerin
maurischen Hofastrologen.«
»Astronomie und Astrologie ist nicht dasselbe«, wagte Miriam anzumerken.
Der Emir sah sie strafend an. »Halte mich nicht für dumm!«, sagte er streng. »Graf Raymond mag das nicht wissen, aber ich wurde in die Grundlagen der Sternkunde eingeführt – und ich weiß genau, welche Einwände ernsthafte Astronomen wie Hipparchos gegen die Sterndeuterei vorgebracht haben. Ich habe deshalb keinen Hofastrologen. Erst recht keinen Sklaven, den ich einfach verschenken kann. Wobei es natürlich Männer in Granada gibt, die Horoskope stellen – die Damen in meinem Harem geben alljährlich ein kleines Vermögen dafür aus, zu erfahren, ob sie mir irgendwann einen Sohn schenken werden. Und wenn das Kind dann da ist, wird ihm immer ein Horoskop gestellt – das zum Glück grundsätzlich gut ausfällt. Nun, wem sage ich das, du verdienst ja auch dein Geld damit.«
»Ungern, Herr«, gab Miriam zu. »Es ist nur so, dass niemand einem etwas dafür bezahlt, wenn man neue Sterne entdeckt und ihre Bahnen errechnet. Aber Astrolabien und Fernrohre sind teuer …«
Der Emir lächelte. »Eigentlich wollte ich dir eine Goldkette zum Geschenk machen, aber ich merke, dass dich andere Dinge glücklicher machen. Nun, das vereinfacht die Sache. Ich könnte dir garantieren, Miriam von Wien, dass dich die besten Astronomen Granadas in ihre Künste einführen werden und dass du zeitlebens die modernsten Gerätschaften gestellt bekommst, die du brauchst, um neue Sterne zu entdecken.«
Miriam strahlte, während Abram düster dreinsah. Er ahnte, was jetzt kam.
»Ich würde den ersten nach dir benennen!«, erklärte Miriam dem Emir. »Oder nach deinem erstgeborenen Sohn.«
Der Emir lachte. »Das wäre zu einfach, Sayyida. Ein bisschen mehr musst du mir schon bieten. Kurz und gut, Miriam von Wien – ich bitte dich darum, für ein paar Jahre als Hofastrologin in die Dienste des Grafen von Toulouse zu treten – dein Gatte könnte dich natürlich begleiten. Verstehst du auch ein bisschen von Sternen, Abram von Kronach?«
»Ich verstehe vor allem etwas von christlichen Höfen«, erklärte Abram unwillig. »Ein Jude lebt da gefährlich. Wenn Miriam mal etwas Falsches weissagt …«
Der Emir rieb sich die Schläfe. »Ich traue deiner Gattin ein Höchstmaß an Diplomatie zu«, sagte er. »Wozu natürlich eine gewisse … Beeinflussung des Grafen im Sinne der Mauren von Al Andalus gehört …«
»Das kann ich, Herr«, versicherte Miriam.
Was Verstellung anging, war sie immer unbekümmert gewesen. Als Abram sie kennenlernte, war sie als Christin gereist, obwohl sie nicht einmal wusste, wie man richtig das Kreuz schlägt.
»Wenn der Kerl auf Juden überhaupt hört!«, wandte Abram ein. »Ich bleibe dabei, dass die Stellung eines Juden an einem christlichen Hof, egal in welcher Position, gefährlich ist!«
Der Emir nickte. »Ich verstehe«, meinte er. »Ihr … ihr würdet nicht vielleicht den Islam annehmen?«
Miriam und Abram schüttelten die Köpfe.
»Bei allem Respekt vor deinem Glauben, Herr …« Abram setzte zu einer Entgegnung an.
Miriam lächelte und unterbrach ihn. »Es müsste ja keiner wissen!«, erklärte sie.
»Was wissen?«, fragte Abram unwillig.
»Dass wir keine Mauren sind«, sagte Miriam. »Wenn wir uns arabische Namen geben, merkt kein Mensch, dass wir Juden sind. Mauren sind sogar beschnitten, nicht wahr?«
Der Emir nickte. »Wenn ihr das auf euch nehmen wolltet …«
Abram wollte erneut widersprechen, aber Miriam gebot ihm Schweigen. Dies war ihre Gelegenheit, ihre Chance! Sie würde dem Grafen ein paar Jahre Horoskope stellen, und dann stand ihr der Himmel offen. Sie hatte für eine Einweisung in die Sternkunde schon Schlimmeres getan. Und noch etwas kam hinzu: Miriam hätte es nie zugegeben, aber sosehr sie ihr Haus in Moxacar und die Sicherheit in Al Andalus liebte, sie hatte längst begonnen, sich zu langweilen. Mit den jüdischen Matronen in der Synagoge hatte sie wenig gemein – und nichts mit den maurischen Frauen, die am Brunnen ihre Wäsche wuschen und klatschten. Eine Zeitlang war das alles schön gewesen, aber Miriam fehlte die Herausforderung. Bei ihren Forschungen trat sie auf der Stelle, die Lehrer verweigerten sich ihr, und Abram machte das Handelshaus seines Vaters nicht glücklich.
»Ich werde dem Grafen gleich das erste Horoskop stellen!«, erklärte sie jetzt entschlossen. »Und auch wenn es ihn nicht gerade erfreuen wird, zu hören, was gestern mit dreien seiner Ritter
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