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Das Erbe der Vryhh

Das Erbe der Vryhh

Titel: Das Erbe der Vryhh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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auf den Weg … Es gelang Kell, eine Bombe an den Verteidigungseinrichtungen vorbeizuschmuggeln, und die Explosion verwandelte alles in glühende Schlacke.«
    Shareem hob die Hand Aleytys’, preßte sie kurz an die Wange und ließ sie dann mit sanfter Bestimmtheit auf die Armlehne zurücksinken. »Wie Kell ungestraft davonkommen konnte? Nun, wir Vrya gestehen niemandem das Recht zu, über unsere Handlungen zu urteilen. Jeder von uns stellt so etwas wie einen souveränen Staat dar, mit der Bevölkerungszahl eins. Und unabhängige Staaten können einander den Krieg erklären, nicht wahr?
    Unsere Kriege nennen wir Todesduelle. Kell hielt sich an alle entsprechenden Regeln. Er sorgte dafür, daß im Mesochthon eine offizielle Herausforderung registriert wurde, und anschließend tötete er meine Mutter. In diesem Sinn hatte sie nichts weiter als Pech. Sie war einfach nicht vorsichtig genug. Alle Vrya, die zu einem anderen Schluß kamen, hätten ihrerseits Kell herausfordern können. Doch dazu war niemand bereit. Hyaroll legte die Hände in den Schoß, und ich wäre lieber nackt in eine Sonne gesprungen. Ich nehme jedoch an, Hyaroll setzte sich mit Kell in Verbindung und wies ihn zurecht, denn nachher ließ mich mein Widersacher mehr oder weniger in Ruhe. Oh, er spielte mit mir, verspottete und verhöhnte mich … Doch nach einiger Zeit fand er keinen Gefallen mehr daran, mich zu ködern, und er wandte sich von mir ab … bis ich nach Vrithian zurückkehrte und die Nachricht von einer Tochter brachte - was er als einen persönlichen Affront erachtete. Verstehst du jetzt besser, was dich erwartet, Lee? Was ich dir klarzumachen versuche …«
    »Ich weiß.« Aleytys erhob sich, tastete nach dem Saum ihres Mantels, richtete den Blick zu Boden und kehrte Shareem den Rücken zu. »Ich glaube, du unterschätzt dich«, fügte sie leise hinzu. »Ich glaube, du bist wesentlich stärker, als du annimmst.
    Aber hat es einen Sinn zu versuchen, so etwas zu beweisen?
    Reem, ohne dich finde ich nicht nach Vrithian, an diesem Punkt kommen wir nicht vorbei. Aber sobald ich einmal dort bin … nun, dann gibt es eigentlich keinen Grund mehr, warum du bleiben solltest.«
    »Lee …«
    »Das ist mein Ernst.«
    »Ich weiß, aber meinst du nicht auch, es genüge, daß ich mich einmal von dir abgewendet habe?«
    »Davon kann jetzt doch keine Rede mehr sein, Reem. Eine solche Vorstellung ist absurd. Schließlich bin ich jetzt eine erwachsene Frau. Und seit vielen Jahren werde ich mit komplizierten Situationen allein fertig.«
    »Ja, ich verstehe. Aber versuch bitte, auch mich zu verstehen, Tochter. Bitte. Ich habe es satt, nach Vernunftgründen für die Fehler meiner Vergangenheit zu suchen. Das kann ich jetzt einfach nicht mehr.« Shareem rang sich ein leises Kichern ab, das rasch zu einem echten Lachen wurde, als sie aus ihrer inneren Starre erwachte und begriff, wie verrückt die Lage war. »Hör damit auf, mir gegenüber die Mutter zu spielen, Lee. Kommt es dir nicht ein wenig komisch vor, ein neunhundert Jahre altes Baby vor den hilfsbereiten Aspekten seines Wesens zu schützen?«
    Aleytys drehte sich um und lehnte sich mit der Schulter an den Stein des Kamins. »Angewohnheiten. Sie werden zu einem Teil von uns, ohne daß man etwas davon bemerkt, und anschließend dauert es Jahre, um sich wieder davon zu befreien.« Sie schloß die Augen.
    »Ich hasse diese ganze Sache, Reem. Ich verabscheue sie. Die Jagd auf einen Mann, um ihn zu töten. Während er hilflos am Boden liegt und zu einem aufsieht …zu mir … die Augen voller Angst und Entsetzen. Ay-Madar, warum vermag ich nicht auch kranke Bewußtseine zu heilen? O ja, ich habe schon des öfteren Menschen und Tiere umgebracht. Mit den Händen, meinem Feuer, mit verschiedenen Waffen. Und ich habe gespürt, wie sie starben. Ich fühlte die Furcht, den Schmerz, das Grauen - das Nichts, das dem Leben folgt. Vor einigen dieser Empfindungen konnte ich mich abschirmen. Wenn ich um mein Leben kämpfe, bin ich zu … konzentriert … zu beschäftigt, um etwas zu fühlen. Nein, das ist nicht ganz richtig ausgedrückt. In einem solchen Fall verdränge ich die Gefühle, verweigere mich ihrer Bedeutung. Aber das Hinmorden eines hilflosen Mannes … Du sagtest eben, ich hätte Kell damals umbringen sollen, und in gewisser Weise … hast du recht . . Das hätte uns allen viel erspart, meinem Kind … Grey … Ticutt, der mein Freund ist …Ja, du hattest recht, ich hätte ihn töten sollen. Aber ich konnte

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