Das Erbe des Bösen
Ton. »Wäre es möglich, dass noch immer jemand hinter den Erkenntnissen von Vaters Atomforschungen und denen seiner Kollegen her ist?«
Erik sah, wie die Frage seine Mutter überraschte.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie schnell. Zu schnell.
Erik musterte sie prüfend. »Kannst du vielleicht bitte endlich aufhören, Dinge vertuschen zu wollen, die längst auf dem Tisch liegen?«
Sie hielt seinem Blick Stand. »Es gibt Dinge, über die zu schweigen verantwortungsbewusster ist als darüber zu reden«, erwiderte sie entschieden.
»Keine Sorge. Ich kenne meine Verantwortung. Oder zweifelst du daran?«
»Ich zweifle nicht daran. Aber ich habe versprochen, bis ins Grab über einige Dinge zu schweigen, die mit Rolf zu tun haben . . .«
»Das verstehe ich. Aber ich weiß über Vaters Beteiligung am Uranprogramm Bescheid. Und ich möchte hören, ob es denkbar ist, dass sich noch immer jemand für seine Arbeit interessiert.«
Die Mutter schaute ihn lange an. »Nein. Ich glaube nicht, dass seine Forschungsergebnisse heute mehr als historischen Wert haben. Aber sie haben am Ende des Krieges Material versteckt, das sie hergestellt oder benutzt haben.«
»Was für Material?«
|327| »Zumindest schweres Wasser und Uran. Die beiden wichtigsten Stoffe.«
»Sie haben Uran versteckt?«
Die Mutter nickte, beinahe stolz. »Angereichertes Uran. Eine kleine Menge, aber immerhin. In Freiburg, Kandern und Celle drehten sich die Zentrifugen rund um die Uhr. Offiziell weiß ich nichts von dem Versteck, und du auch nicht. Vergiss das nicht.«
Erik war verwirrt.
War das möglich?
U-235 veraltete nicht, es war nach wie vor angereichertes Uran . . . Er spürte kalte Schauer über seinen Rücken laufen.
»Wo haben sie es versteckt?«
»Irgendwo im Thüringer Wald. Genauer weiß ich es nicht. Hans Plögger war dabei.«
»Erzähl mir alles, was du darüber weißt!«
»Mehr weiß ich nicht.«
»Versuch dich zu erinnern! Es ist wichtig . . .«
»Hast du nicht gehört? Mehr weiß ich nicht. Vergiss das Ganze.«
Erik stand abrupt auf und eilte zur Tür.
»Wo gehst du hin?«
»Ich komme wieder«, sagte Erik. »Spätestens morgen.«
In der Eingangshalle huschte ihm Charlie über den Weg. Selbst die Wahl ihrer Katze erhielt in Eriks Augen nun eine neue Bedeutung. Manx war ursprünglich eine ungesunde Rasse gewesen – und erst durch Veredelung gesundet.
»Ich würde mit dir gern noch weiter über die Eugenik sprechen«, rief die Mutter und ging ihm nach. »Du möchtest so inständig deine Hände in Unschuld waschen, aber ein Fünftel der Weltbevölkerung ist noch immer von Zwangssterilisationen betroffen, weil in China 1994 das Mutterschaftsgesetz
Maternal and Infantile Health Care Law
in Kraft trat. Mit dessen Hilfe werden behinderte Menschen ausgesondert, das ist traditionelle Eugenik, eine modernisierte und gekürzte Version des deutschen Sterilisationsgesetzes von 1934. Aber die Chinesen würden bestimmt |328| nie auf die Idee kommen, das DN A-Bank -Programm von Gendo so anzuwenden, dass . . .
Erik schlug die Haustür hinter sich zu und trat mal wieder in den Regen.
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Die Scheibenwischer hatten alle Hände voll zu tun, aber Erik achtete nicht auf den Regen. Er fuhr mechanisch die vertraute Strecke nach Guildford, fast als hätte er den Autopilot eingeschaltet.
Die Information über das Uranversteck musste er auf jeden Fall an Schneider weitergeben. Erik hatte schon versucht, ihn in Berlin anzurufen, aber es hatte sich nur der Anrufbeantworter gemeldet. Er musste sich morgen darum kümmern. Ob in den fehlenden Tagebüchern vom Uranversteck die Rede war? Konnte das Uran das Puzzleteil sein, das zum Gesamtbild noch fehlte? Erik beschloss, nach Berlin zurückzukehren, gleich am Morgen. Was würde Schneider jetzt sagen? Als erstes wollte Erik von Rastegar alles aufkaufen, was an Plöggers Tagebüchern vorhanden war. Wenn auch nur die Kopien.
Er fluchte innerlich, seinen finnischen Rechtsanwalt Tirkkonen schon gebeten zu haben, den Brief seines Vaters nach England zu schicken. Er wollte ihn so schnell wie möglich bekommen. Aber vielleicht würde er es nach Hause schaffen, bevor der Brief ankam. Oder Katja könnte ihm den Inhalt nach Deutschland übermitteln.
Auf einmal sah Erik eine dunkle Gestalt am Straßenrand und machte eine schnelle Ausweichbewegung. Welcher Idiot ging da im Dunkeln an der Straße entlang, dachte er erschrocken und reduzierte die Geschwindigkeit.
Trotzdem blieb seine Aufmerksamkeit nur wenige
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