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Das Erbe des Bösen

Das Erbe des Bösen

Titel: Das Erbe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Sekunden beim Straßenverkehrr. Dann begruben die Sätze seiner Mutter wieder alles andere unter sich.
    |330| Auf irgendeiner Ebene erfasste sein Verstand alles, was sie gesagt hatte. Doch auf der emotionalen Ebene fühlte er sich durch und durch betrogen. Seine Mutter war für ihn gestorben.
    Anders konnte es nicht sein. Er war das Kind einer Bestie. Sein Vater war kein Ungeheuer gewesen, aber seine Mutter . . . Doch inwieweit eine Bestie vielleicht doch auf irgendeiner Ebene
recht
haben konnte . . . Das durfte man nicht einmal denken.
    Auch wenn das Beweismaterial aus der Nazizeit bereits hieb- und stichfest war, war das persönliche Geständnis der Mutter doch für Erik ein Vernichtungsschlag gewesen. Oder war es eher die Tatsache, dass sie noch immer nicht bereit war, zu Kreuze zu kriechen und Scham zu empfinden, sondern ihr Tun sogar jetzt noch verteidigte? Und zu allem Überfluss in Erik ihren Nachfolger sah – vielleicht sogar auf einer konkreteren Ebene, als er selbst es verstand.
    Ihm drang das Bild einer Versammlung ins Gedächtnis, zu der seine Mutter ihn eingeladen hatte, wo er einen Vortrag über das Genomkartierungsprojekt halten sollte. In einem Konferenzraum des Hotels The Rosen Inn hatten »alte Freunde« seiner Mutter gesessen, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes: alle Anwesenden, ein Dutzend etwa, waren Leute im Pensionsalter gewesen. Was sie für einen Hintergrund hatten, war Erik nicht ganz klar geworden, eigentlich hatte es ihn auch nicht interessiert, er hatte den Vortrag nur seiner Mutter zuliebe gehalten und natürlich auch, weil unter den würdevollen Damen und Herren etliche waren, die darüber mitentschieden, wo die Forschungsgelder und Stipendien einiger großer Stiftungen hingingen.
    Erst jetzt, in diesem Moment, begriff er, wer jene Menschen gewesen waren. Es waren Geistesverwandte seiner Mutter gewesen, Leute, die davon überzeugt waren, dass die menschliche Rasse aktiv veredelt werden musste. Für seine Doktorarbeit hatte er auch ein großes Stipendium von der
Rockefeller-Stiftung
erhalten, einer Institution, der seine Mutter ebenfalls nahestand.
    Am schlimmsten aber war für Erik die Geschichte mit seinem |331| Großvaterr. Erik konnte kaum glauben, dass sein Opa jemanden wie Mengele unterstützt haben sollte – selbst noch
nach
dem Krieg. Und trotzdem glaubte er, dass es stimmte, denn er hatte ja selbst davon gehört, mit eigenen Ohren, schon als Kind. Mit schmerzlicher Wucht kehrten plötzlich die Erinnerungen zurück. Seine Mutter hatte in jenem Herbst außergewöhnlich oft telefoniert. Warum konnte er sich daran so gut erinnern? Jedes Mal war sie aufgeregt gewesen, beunruhigt . . . Zwei Jahre zuvor hatten sich seine Eltern scheiden lassen, und Erik lebte bei seiner Mutter in Orlando. Er war damals zwölf, es war das Jahr 1970.
    Irgendetwas stimmte damals nicht. Erik konnte von seinem Zimmer im ersten Stock aus nicht alles verstehen, aber seine Mutter redete Schwedisch. Es musste also Opa Anders in Schweden am Apparat sein. Erik kam schon angerannt, um mit seinem Großvater zu reden, aber der strikte und beunruhigte Ton der Mutter stoppte ihn. Sie wollte nicht, dass er mithörte. Warum nur? Erik drückte neben der Tür die Wange an die Wand und spitzte die Ohren.
    Es war Opa Anders, aber warum schrie seine Mutter ihn beinahe an? Und auch noch mit weinerlicher Stimme. Aus den Erwachsenen wurde man einfach nicht schlau . . .
    »Pappa, halt dich fern von diesen Leuten, fahr weg von dort! Du bist ihnen nichts schuldig, Pappa!«
    Wem sollte der Großvater etwas schuldig sein? Er war doch reich! Er reiste viel, vor allem jetzt, als Pensionär, aber wo war er diesmal? Und warum wollte die Mutter, dass er von dort wegfuhr?
    »Hör mir zu, Pappa! Du hast dem Doktor genug geholfen. Mehr kannst du nicht tun. Außerdem kann er längst sicher nach Brasilien zurückkehren. Das sind gefährliche Leute
. . .
Du musst raus aus Paraguay
. . .
«
    Wie oft hatte Erik über dieses seltsame Telefonat nachgedacht, ohne auch nur zu ahnen, worum es dabei gegangen war. Aus unerfindlichen Gründen hatten sich ihm die Sätze seiner Mutter ins Gedächtnis eingebrannt.
    |332| Das Wasser einer tiefen Pfütze ergoss sich wie aus Eimern über die Windschutzscheibe von Eriks Wagen.
    Großer Gott! Erik war sich nun absolut sicher. Seine Mutter hatte damals mit ihrem Vater über Doktor Mengele gesprochen, der sich in Südamerika auf der Flucht befand . . .
    Im Regen tauchten beleuchtete Schilder mit Firmennamen

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