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Das Erbe des Bösen

Das Erbe des Bösen

Titel: Das Erbe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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hatte sich schließlich nicht nur um die Rassenhygiene gekümmert. Die Kampagne gegen Krebs im nationalsozialistischen Deutschland war die fortschrittlichste der Welt gewesen, dazu gehörte ein breit angelegter Feldzug gegen das Rauchen, Einschränkungen des Gebrauchs von Asbest und schädlichen Pestiziden sowie das Verbot von Farbstoffen in Lebensmitteln. Der Zusammenhang von Rauchen und Lungenkrebs wurde erstmals 1939 in Deutschland festgestellt. Die Nazis verboten das Rauchen an vielen öffentlichen Plätzen, wie in Büros und Wartesälen. Die Tabakwerbung wurde eingeschränkt, und in den Zügen gab es Abteile für Nichtraucherr.
    Ingrid seufzte. Erik war in einer Verfassung aus dem Haus marschiert, die ihn nicht so schnell wiederkommen lassen würde, |336| da war sich Ingrid sicher. Wie albern und sentimental er doch mit manchen Dingen umging. In der Hinsicht hatte er viel von seinem Vater.
    Ingrid erinnerte sich lebhaft daran, wie Rolf sich für seine Vergangenheit in Deutschland geschämt hatte, wie er sie kindisch zu verbergen suchte, als sie sich ein neues Leben in Amerika aufbauten. In Huntsville, Alabama, lebten Hunderte Deutsche mit ihren Familien, die zentrale Figur unter ihnen war Wernher von Braun. Zum Glück waren Ingrid und Rolf vom kargen Texas in das grüne, hügelige nördliche Alabama gekommen, wo die Amerikaner das
Redstone Arsenal
gründeten, ein riesiges Raketenversuchsareal.
    Rolf hatte von Anfang an Distanz zu den Deutschen halten wollen, darum hatten die Narvas auch kein Haus auf dem Monte Sano, dem »Sauerkraut Hill«, wo die Deutschen wohnten, gekauft, sondern in Longwood, wo man unter Amerikanern lebte. Vor allem von Braun ermunterte die Deutschen, sich aktiv am lokalen sozialen Leben zu beteiligen, und ging selbst mit gutem Beispiel voran. Rolf engagierte sich beim Bau des städtischen Observatoriums und Planetariums, was in Ingrids Augen eine gute Therapie für seine Niedergeschlagenheit war.
    In Huntsville betonten die Narvas in jeder Hinsicht ihre skandinavische Herkunft, auch wenn es gegenüber den zugezogenen Deutschen in der Stadt nur wenige Unfreundlichkeiten gab. Ingrid erinnerte sich lediglich an einen Tankstellenbesitzer, der seinen Sohn im Krieg verloren hatte und der durch ein Schild an der Tür mitteilte, dass Deutsche bei ihm als Kunden unerwünscht waren.
    Oft musste Rolf zum Hauptquartier des Atombombenprogramms nach Los Alamos und zum Reaktorzentrum Oak Ridge fahren, aber es blieb ihm trotzdem Zeit genug, Ingrid immer gründlicher mit der Strahlenphysik vertraut zu machen. Nach Wissenschaftlerinnen mit ihren Qualifikationen herrschte starke Nachfrage, und sie hatte genug Arbeit bei den Plutoniumversuchen, die von der Abteilung für Biologie und Medizin der |337| einflussreichen, strikt auf die »nationalen Interessen« bedachten Atomenergiekommission finanziert wurden.
    Dann kam das Jahr 1950.   Ein schicksalhaftes Jahr. Gleich im Januar erreichte Ingrid und Rolf eine überraschende Neuigkeit: Katharina war von Deutschland nach Texas gekommen, nach San Antonio, ans
Luftfahrtmedizinische Institut
, dem Hubertus Strughold vorstand. Die Amerikaner setzten mit Nachdruck auf die militärische Forschung, und die Atmosphäre war hochgradig belastet; im Frühjahr wurde Klaus Fuchs als Atomspion enttarnt. Er hatte sämtliche wichtige Atomgeheimnisse des Manhattan-Projekts an Moskau weitergegeben. Rolf und Ingrid hatten wie andere, die aus Deutschland gekommen waren, den Antrag auf Erlangung der U S-Staatsbürgerschaft gestellt. Das löste Untersuchungen des Justizministeriums und des FBI zu S S-Verbindun gen und der Nazivergangenheit einiger Antragsteller aus. Rolf und Ingrid kamen aufgrund ihrer skandinavischen Herkunft unbeschadet und einigermaßen leicht davon.
    Die Stimmung verdüsterte sich weiter, als der im Juni ausgebrochene Koreakrieg viele glauben ließ, dass schon bald Atomwaffen eingesetzt und die Kämpfe sich zu einem Dritten Weltkrieg ausweiten würden. Unter der Federführung Wernher von Brauns optimierten Rolf und seine Kollegen fieberhaft eine Redstone-Rakete mit kurzer Reichweite, die sich als Trägerrakete einer Atombombe eignete, und entwickelten einen ballistischen Flugkörper namens Jupiter mit mittlerer Reichweite. Auch die medizinischen Forschungen der Atomenergiekommission und der Armee wurden immer zielführenderr.
    Ingrid war unbehaglich zumute bei all diesen Erinnerungen. Sie ging in die Küche und stellte Milch auf den Herd. Sie wollte sich einen

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