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Das Erbe des Bösen

Das Erbe des Bösen

Titel: Das Erbe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Türen im Gang vor ihm auf. Erik blieb stehen. Er starrte auf den Mann, der vor ihm aufgetaucht war.
    Es war derselbe Mann wie in der Wohnung von Eriks Vater in |505| Helsinki, derselbe Mann, der in England vor Eriks und Katjas Augen den Amerikaner erschossen hatte.
    Sie standen sich gegenüber und fixierten sich. Erik hatte nicht das Gefühl, als würde Gefahr von dem Mann ausgehen, im Gegenteil.
    »Sie haben mir das Leben gerettet«, sagte er leise. »Aber sie haben einem Sohn das Testament seines Vaters genommen.«
    »Ich weiß, dass es für dich bestimmt war«, sagte der Mann auf Englisch mit russischem Akzent. »Aber in gleichem Maße gehört es mir.«
    Der Russe streckte die Hand aus, die Erik leicht irritiert ergriff.
    Der Händedruck war fest und warm. Dann drehte sich der Mann um und kehrte in das Zimmer zurück, aus dem er gekommen war. Die Tür schnappte ein.
    Erik rührte sich nicht, die seltsamen Worte des Mannes klangen in seinen Ohren nach.
    »Aber in gleichem Maße gehört es mir.«
    Mehr als die Worte irritierte Erik das Aussehen des Mannes. Bei näherer Betrachtung kam er ihm irgendwie bekannt vor . . .
    Ja. Er hatte etwas von Vater an sich – und von Erik selbst.
    Erik wurde schwindlig. Er klopfte an die Tür, hinter der der Mann verschwunden war. Niemand öffnete. Erik drückte die Klinke, aber es war abgeschlossen.
    Er klopfte fester. Nichts geschah.
    Da machte er kehrt, eilte zum Zimmer von Katharina Kleve und hämmerte dort mit aller Wucht gegen die Tür.
    »Hör auf«, sagte eine Stimme hinter ihm.
    Der Russe war wieder im Gang aufgetaucht.
    Langsam gingen sie aufeinander zu. Einen Meter voneinander entfernt, blieben sie stehen.
    »Geh zu deinem Auto«, sagte der Mann ernst. »Ich komme nach.«
    Wie betäubt ging Erik nach draußen. Kaum saß er am Steuer seines Mietwagens, ging die Beifahrertür auf, und der Russe setzte sich neben ihn.
    |506| »Ich heiße Andrei«, stellte sich der Mann vor – auf Finnisch.
    Erik schaute ihn an. Er traute seinen Ohren nicht.
    »Meine Mutter flog im Mai 1956 von Amerika nach Moskau. Dort wurde ich im Dezember desselben Jahres geboren. Die Wahrheit über meinen Vater habe ich immer gekannt.«
    Es herrschte Stille im Auto.
    »Welche Wahrheit?«, fragte Erik nach einer Weile, auch wenn er die Antwort bereits ahnte.
    »Du hast es längst erraten. Meine Mutter ist Katharina Kleve. Und mein Vater hieß Rolf Narva.«
    Auf einmal wurde Erik ganz ruhig. Es gab Dinge, die waren so groß und so wahr, dass man sie einfach nur hinnehmen konnte. Ohne Fragen zu stellen, ohne sie in Zweifel zu ziehen. Was er gerade erfahren hatte, kam Erik geradezu logisch vor. Und es tröstete ihn.
    Andrei öffnete die Tür, um auszusteigen. Mit pochendem Herzen legte Erik ihm die Hand auf die Schulter.
    Es war die Schulter seines Bruders.
    Andrei stieg aus und sagte durch die offene Beifahrertür: »Ich habe aus Vaters Wohnung in Helsinki ein Bild von ihm mitgenommen. Ein zweites Foto habe ich mir aus dem Archiv des GRU kopiert. Du bekommst es stattdessen.«
    Andrei reichte Erik ein kleines Schwarz-Weiß-Foto, das mit Teleobjektiv gemacht worden war. Man sah darauf einen dreißig- bis vierzigjährigen Mann über die Straße einer amerikanischen Stadt gehen. Den Autos und Kleidern nach zu schließen musste die Aufnahme in den Fünfzigerjahren gemacht worden sein. In einer Ecke war das Bild mit einem russischen Stempel versehen worden.
    »Wir werden uns nicht wiedersehen. Leider«, sagte der Russe. »Lebe dein Leben weiter und vergiss alles, was du gesehen und gehört hast. Das ist für alle das Beste, Erik.«
    Dann schlug er die Beifahrertür zu. Erik war nahe daran, ihm zu folgen, entschied sich aber anders und sah dem Mann hinterher, der auf das Pflegeheim zuging.
    Andrei.
     
    |507| Katharina saß im Sessel und war in Gedanken versunken.
    Obwohl sie einst beschlossen hatte, Rolf ihr ganzes Leben lang zu hassen, wollte oder konnte sie diesen Hass nicht auf Erik übertragen. Im Gegenteil. Sie hatte auch Rolf nichts Böses gewollt. Aber es war ihr nichts anderes übrig geblieben, als Baryschnikow anzurufen, denn das Pflegeheim kostete Geld, und davon hatte sie nicht mehr allzu viel.
    Sie griff nach dem Zettel, auf den sie die Warnung an Erik geschrieben hatte, zerriss ihn in kleine Fetzen und warf sie in den Papierkorb. Dann drückte sie die Klingel und legte sich hin. Frau Scheller erschien in der Tür.
    »Sagen Sie Baryschnikow, er soll zu mir kommen«, sagte Katharina.
    Es vergingen

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