Das Erbe des Bösen
er ihnen keinerlei Beachtung.
Als er vor dem alten Haus stand, las er auf dem Klingelschild bei der Wohnung mit der Nummer 18 den Namen FISCHER, wo er KLEVE erwartet hatte.
Er läutete, aber niemand meldete sich. Nachdem er kurz überlegt hatte, beschloss er, zur Polizei zu gehen.
Der Beamte auf der Polizeiwache in der Bismarckstraße war sachlich, aber reserviert.
Möchte Ihr Vater vielleicht nur ungestört bleiben? Trinkt er Alkohol? Ist es auch früher schon vorgekommen, dass er sich nicht gemeldet hat?
Von dem Bewaffneten im fernen Helsinki und dem seltsamen Besucher in dem Berliner Hotel nahm der Polizist augenscheinlich kaum Notiz, was Erik ungemein ärgerte.
»Sind Sie sicher, dass Sie so schnell schon eine Vermisstenanzeige aufgeben wollen? Das ist ein aufwendiger Vorgang.«
Irgendwie gelang es dem deutschen Beamten, Anteil nehmend zu wirken und gleichzeitig zu verstehen zu geben, dass der Fall für ihn erledigt war.
Erik setzte sich eine Zeitgrenze: Würde sein Vater sich nicht vor zehn Uhr am Abend melden, würde er eine Vermisstenanzeige aufgeben.
Aber zuvor wollte er versuchen, Katharina Kleve zu finden. Der Polizist hatte ihre Adresse innerhalb einer Sekunde auf dem Bildschirm: ein Pflegeheim am Stadtrand von Berlin. Offenbar war Frau Kleve dorthin gekommen, nachdem sie an Eriks Vater geschrieben hatte. War sein Vater vielleicht in das Pflegeheim gefahren, weil er die Frau unter der Briefadresse nicht angetroffen hatte? Das erschien ihm logisch.
Erik entschied sich, etwas essen zu gehen und sich danach auf den Weg zu dem Pflegeheim zu machen.
|102| Rolf bewegte vorsichtig die Finger, um die Durchblutung wieder anzuregen. Er saß noch immer auf dem Rücksitz des Audi, aber Hoffmann hatte ihn endlich von den Handschellen befreit. Manfred fuhr in gemäßigtem Tempo auf der rechten Spur der Autobahn, keiner sprach. Nur das Radio lief.
»Präsident Bush hat im Zusammenhang mit dem geheimen Atomwaffenprogramm schwere Vorwürfe gegen den Iran erhoben. Bush warnt die Führung Irans vor schwerwiegenden Folgen, falls die Weiterentwicklung einer Technologie, die letztlich den Bau einer Atombombe ermögliche, nicht sofort gestoppt werde . . .«
Die Meldung löste in Rolf eine diffuse Unruhe aus. Seit der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki war er jedes Mal beklommen, wenn er Nachrichten zum Thema Kernwaffen hörte.
Er zwang seine Gedanken, in das Jahr 1945 zurückzukehren, als er dasselbe Fahrziel hatte wie jetzt. Der Morgen war noch nicht angebrochen, da schrak er aus dem Halbschlaf hoch, weil sein Kopf gegen Hans’ Schulter fiel, der neben ihm saß.
»Merkst du das? Wir fahren einen ziemlich steilen Hang hinauf«, sagte Hans. »Das muss schon der Thüringer Wald sein.«
Rolf verrenkte sich, um unter der Plane hinausschauen zu können. Unglaublich, dass er tatsächlich bei diesem Gerumpel und dem Motorlärm geschlafen haben sollte. Draußen war es noch dunkel, und der Lastwagen wurde in den engen Kurven hin und her geworfen. Aber es ging eindeutig weiter steil nach oben. Die Straße mündete in einen holprigen Feldweg, als die ersten Sonnenstrahlen hinter den Bergrücken zum Vorschein kamen. Der Morgen war eisig kalt, eindeutig unter null Grad. Der Regen der letzten Tage hatte jedoch den meisten Schnee weggespült, nur die höchsten Bergspitzen waren noch weiß.
Die Fahrzeuge drosselten das Tempo. Am Rand einer Lichtung, auf der vereinzelt Büsche wuchsen, standen Gebäude, die zu einem aufgelassenen Bergwerk zu gehören schienen: eine Art Turm, verrottete Transportbänder und offenbar ein Teil der verrosteten |103| Lokomotive eines auseinandergenommenen Erzzuges. Rechts schimmerte eine bis zu den Gipfeln bewaldete Bergkette, links tat sich im Tal eine riesige Tagebaugrube auf.
Der Konvoi setzte seine Fahrt über das Grubengelände fort. Der Weg führte nun nach unten. Unmerklich wurde jetzt an den Hängen der Buchenwald dichter. Plötzlich fuhren die Fahrzeuge auf einem schmalen Korridor zwischen die Bäume hinein und wenig später durch ein Tor in einer bemoosten Mauer. Die Vegetation ringsum war dicht, an den geraden Buchenstämmen schlängelte sich Efeu hinauf.
Bald darauf bildeten die Fahrzeuge einen Halbkreis und die Fahrer stellten die Motoren aus. Ein erst zwanzigjähriger S S-Untersturmführer befahl den Soldaten auszusteigen, und unter der Aufsicht von vier Unterscharführern wurden alle Fahrzeuge innerhalb weniger Minuten unter Tarnplanen versteckt. Dann wurden Wacheinheiten
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