Das Erbe des Bösen
bevor er sich neben Hans auf die Erde warf. Die S S-Männer suchten hinter den Grabsteinen Deckung, aber vergeblich.
Die erste Thunderbolt kam hinter den Wipfeln hervor und im Tauchflug direkt auf sie zu. Sechs Maschinengewehrsalven peitschten das nasse Moos, sodass es meterhoch in alle Richtungen spritzte. Die Kugeln schlugen in den Grabsteinen ein und trafen Sturmbannführer Wiedling und zwei weitere S S-Män ner . Als die erste Maschine daraufhin wieder nach oben zog, erschien sogleich die zweite. Deren Maschinengewehrfeuer war von gleicher tödlicher Präzision. Soldaten mit normalem Selbsterhaltungstrieb und gesunder Todesangst hätten vielleicht versucht zu fliehen, aber Standartenführer Hahne, der Standartenoberjunker mit dem Kindergesicht, und die beiden anderen Männer beschossen hinter ihren Grabsteinen kniend mit Pistolen das amerikanische Flugzeug. Eine Maschinengewehrsalve riss den Standartenoberjunker fast in zwei Teile, ein anderer S S-Mann wurde getroffen und wälzte sich schwer verwundet auf der Erde.
Panisch und wütend raffte Rolf Gras und Moos zusammen und versuchte sich damit zu tarnen. Wieder feuerten sechs Maschinengewehre auf den Friedhof und näherten sich dabei der Kapelle. Sie kommen direkt auf uns zu, konnte Rolf noch denken.
Die Salve wischte über Hans hinweg. Er schrie auf und hielt sich mit der Hand den Rücken. Keinen Meter von Rolf entfernt |109| schlugen weitere Kugeln in die Erde. Doch dann zogen die Maschinen wieder nach oben und flogen in westlicher Richtung davon.
Rolf rappelte sich auf und beugte sich über seinen Kameraden. Eine Kugel hatte dessen Jacke und Hemd der Länge nach aufgerissen, den Ledergürtel entzweigeschnitten und eine lange, aber nicht allzu tiefe, blutende Wunde entlang des Rückgrats gezogen.
Hans fluchte. Er stand unter Schock.
»Kannst du aufstehen?«, fragte Rolf und schaute sich um. Mittlerweile war offenbar auch der letzte S S-Mann verschwunden, und aus der Richtung des Standartenführers, der mit der Pistole auf die Flugzeuge geschossen hatte, war nur noch ein Stöhnen zu hören. Rolf sah, dass die Kugeln mindestens drei Löcher in den Bauch des Mannes gerissen hatten, aus denen das Blut hervorquoll. Seine Luger lag zwei Meter von ihm entfernt.
Rolf half dem vor Schmerzen ächzenden Hans auf die Beine, aber der stieß ihn weg und humpelte ohne Hilfe weiter, hielt sich aber mit beiden Händen den blutenden Rücken.
Aus dem Mund des Standartenführers drang seine stammelnde Bitte: »Erschießen Sie mich! Ich flehe Sie an!«
Rolf und Hans sahen sich an – zwei Männer, die am Schreibtisch arbeiteten, zwei Zivilisten.
Langsam und unter Schmerzen bückte sich Rolf nach der Luger, obwohl er wusste, dass er dazu nicht fähig wäre.
Doch bevor er sie zu fassen bekam, versetzte Hans der Luger einen Tritt, sodass sie in Reichweite des Standartenführers liegen blieb. »Gehen wir.«
Kurz darauf hörten sie hinter sich einen Schuss.
Jedes Mal wenn Rolf in seiner Erinnerung auf diesen Augenblick stieß und den letzten Schuss des Standartenführers hörte, zuckte er zusammen. So auch jetzt.
Als sie die Stufen zum Pflegeheim hinaufgingen, tauchte Rolf aus seinen Erinnerungen wieder auf. Die Pflegerin wirkte jetzt freundlicherr, da sie Rolf wiedererkannte. Hoffmann lächelte |110| ganz entspannt, als er mit ihr sprach. Und Manfred wartete im Auto.
Wie schon beim ersten Besuch saß Katharina in ihrem Sessel und war offensichtlich auch diesmal in einer ganz anderen Welt. Rolf lenkte das Gespräch auf Hans, über den sie sofort offen sprach, sogar mit einem gewissen Stolz. Es hatte den Anschein, als würde die Scheidung sie nicht mehr belasten.
»Wie du weißt, war ich kurz vor Kriegsende mit Hans in einer geheimen Mission unterwegs«, sagte Rolf. »Er hat sicherlich mit dir darüber gesprochen.«
»Wer ist dieser Mann da?«, fragte Katharina plötzlich mit einer Kopfbewegung in Richtung Hoffmann.
»Er ist . . . ein Freund von mir. Absolut vertrauenswürdig. Hat Hans jemals mit dir darüber gesprochen, dass wir Ende März 1945 Hinterlassenschaften des Uranvereins verstecken mussten?«
Katharina schaute Rolf in die Augen. »Es gab nichts, was er mir nicht erzählt hätte.«
Der Satz stimmte Rolf hoffnungsvoll. Trotz aller Bemühung gelang es ihm nicht, seine Stimme ruhig zu halten.
»Wir sind damals zu einem Bergwerk im Thüringer Wald gefahren«, sagte er aufgeregt. »Dort stand ein altes Herrenhaus, zu dem ein Friedhof gehörte. Hat Hans dir
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