Das Erbe des Bösen
schreiben, war er möglicherweise auch dumm genug gewesen, mit ihr darüber zu reden. Und Katharina schien sich in ihrem derzeitigen Zustand ausgezeichnet an die alten Geschichten erinnern zu können . . .
Das hätte er schon früher in Betracht ziehen sollen.
»Wir kehren um.«
»Was?«, fragte Hoffmann ungläubig.
Rolf erzählte, was ihm gerade durch den Kopf gegangen war. Hoffmann schwieg eine Weile, und sie fuhren weiter.
Dann gab er Manfred die Anweisung, in Richtung Lichtenfelde zu fahren.
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Erik saß in einem Restaurant am Savignyplatz und versuchte nervös, die Bedienung auf sich aufmerksam zu machen, damit er endlich bezahlen konnte. Vor ihm auf dem Tisch lag eine Karte von Berlin und Brandenburg, auf der er das Pflegeheim markiert hatte, in dem Katharina Kleve lebte.
Sein Handy klingelte. Der Leiter der Finanzabteilung seiner Firma teilte ganz begeistert mit, dass ein gigantischer amerikanischer Investor mit Erik einen Termin für nächste Woche vereinbaren wolle, weil sich dann einer seiner Partner in London aufhalte. Erik sagte nur, er werde auf das Thema zurückkommen, für mehr reichte seine Energie im Moment einfach nicht.
Trotzdem musste er schmunzeln. Seine Mutter hatte ihm vor Jahren ein Golf-Equipment, Marke Ping, geschenkt: Schläger, Cartbag, Schuhe und Handschuhe, denn »Kontakte knüpft man auf dem Golfplatz«, das war eine verbreitete Wahrheit. Erik war damals so intensiv mit der Weiterentwicklung der Firma beschäftigt gewesen, dass er tatsächlich auf den Golfplatz gegangen war – nur, um sich kräftig zu blamieren. Mit Müh und Not hatte er die Green Card geschafft, und nach fünf Jahren Golfen hatte sein Handycap noch immer bei 36 gelegen. Da seine Zeit ohnehin äußerst knapp gewesen war, hatte Katja oft sauer mit den Kindern zu Hause gesessen, während er Stunden auf dem Golfplatz zugebracht hatte. Als er das Hobby endlich aufgab, waren alle erleichtert.
Nachdem er bezahlt hatte, verließ Erik das Restaurant und hielt nach einem Taxi Ausschau. Er war sehr neugierig auf Katharina Kleve. Andere Menschen, die über die Deutschland-Jahre |107| seines Vaters etwas wussten, dürften sonst nur noch schwer zu finden sein, wenn sogar seine Mutter noch immer so tat, als hätte sie von allem keine Ahnung.
Der rote Audi-Kombi hielt vor dem Pflegeheim. Rolf bereute bereits seinen Gedanken, Katharina könnte ihnen beim Auffinden des Verstecks helfen. Es war doch relativ unwahrscheinlich, dass Hans ihr so detailliert vom Uranversteck erzählt hatte. Andererseits gab es nichts zu verlieren.
Wieder kreiste in Rolfs Kopf eine seiner schmerzlichsten Erinnerungen. Noch immer konnte er sich lebhaft den Blick des narbengesichtigen Standartenführers vor Augen führen, mit dem er Hans und Rolf anstarrte, nachdem sie die Grube zugeschaufelt hatten.
Die Worte, die der S S-Offizier dazu gesprochen hatte, waren ruhig und kalt aus seinem Mund gekommen, geradeso als erteilte er einen Marschbefehl.
»Es tut mir leid, aber Sie müssen sich jetzt dort hinter die Kapelle begeben.«
Der Standartenoberjunker zog die Pistole und deutete mit dem Lauf in die entsprechende Richtung.
Rolf sah Hans bestürzt an. Diese S S-Männer würden ihr Hinrichtungskommando sein. Seine Ahnungen hatten ihn nicht getäuscht.
Sie konnten nichts tun. Die S S-Männer trieben sie vor sich her an die Wand der Kapelle und blieben selbst in einiger Entfernung stehen. Panik schnürte Rolf die Kehle zu.
In dem Moment hörte man aus nördlicher Richtung, vom Herrenhaus her, das Dröhnen eines Flugzeugmotors näher kommen. Offensichtlich flog die Maschine sehr tief. Es konnten sogar mehrere Flugzeuge sein.
Auch die S S-Männer blickten zum Himmel. Kurz darauf erschien ein Kampfflugzeug über dem Friedhof und streifte fast die Wipfel der Bäume, gefolgt von einem zweiten. Es waren Thunderbolts der Amerikanerr, die blau-weiß-roten Sterne an |108| den Flanken und den Unterseiten der Tragflächen waren in der Morgensonne gut zu erkennen.
Im Nu waren die Maschinen hinter dem gegenüberliegenden Wald verschwunden, aber wahrscheinlich hatten die Aufklärungsflieger mit ihren scharfen Augen die Uniformen der S S-Männer gesehen.
»In Deckung!«, befahl der Narbenoberst seinen Männern.
Schon kam der Motorenlärm wieder näher, die Maschinen kehrten zurück. Offenbar hatten die amerikanischen Aufklärungsflugzeuge die Anweisung, sämtliche militärischen Ziele anzugreifen, auch die unbedeutendsten, konnte Rolf noch denken,
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