Das Erbe des Bösen
die vorläufigen Ergebnisse dieses Krieges. Der motorisierte Marsch in die Nacht hinein konnte beginnen.
Rolf und Hans wurden unter die Plane des zweiten Lastwagens gesetzt, zu den dort kauernden, übel nach Schweiß riechenden |98| S S-Männern . Die Autos und Motorräder des Konvois ließen die Motoren an, und angeführt von den Polizeiwagen setzte sich der Zug – auch jetzt ohne Licht – in Bewegung.
Stadtilm verschwand rasch in Nacht und Nebel. Wenn ich nur aus diesem Land hinauskomme, dachte Rolf. Dann werde ich nie wieder zurückkehren. Gott im Himmel, der Du all das zulässt, wenn es Dich gibt, so rette auch Ingrid und lass mich nie mehr in dieses Land zurückkehren . . .
Trotz dieses Gebetes war er nun doch wieder nach Berlin gekommen, Jahrzehnte später. Wegen Katharina. Womöglich war das der größte Fehler seines Lebens – einer unter zahlreichen anderen gewaltigen Fehlern.
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Erik blickte auf die Frau an der Rezeption des Hotels Askanischer Hof, die mit freundlicher Besorgnis einen Schlüssel vom Brett nahm. Gedämpft drang der Verkehrslärm vom Kurfürstendamm herein.
»Zimmer 21 ist leer. Hier haben Sie den Schlüssel«, sagte sie. »Ihr Bruder war vorhin schon da und hat nachgesehen.«
»Mein Bruder?«, fragte Erik und lachte erstaunt. »Ich habe keinen Bruder . . . Und es war wirklich jemand im Zimmer meines Vaters?«
Die Rezeptionistin wurde hellhörig und sah Erik etwas erstaunt an. »Vor knapp einer Stunde war hier der Sohn von Herrn Narva. Ich dachte, er sei derjenige, der zuvor angerufen hatte . . .«
»Nein, der Anrufer war ich.« Erik holte seinen Pass hervor und zeigte ihn der inzwischen leicht gereizten Frau. »Ich bin der Sohn von Rolf Narva. Der einzige Sohn. Und ich möchte jetzt gern das Zimmer meines Vaters sehen.«
Die Frau kam rasch hinter ihrem Tresen hervor und marschierte mit dem Schlüssel in der Hand über den mit orientalischen Teppichen ausgelegten Gang. Erik war ernsthaft beunruhigt. Der bewaffnete Mann in der Wohnung seines Vaters in Helsinki konnte ein zufälliger Einbrecher gewesen sein, aber ein Schnüffler in diesem Berliner Hotel konnte nur etwas ganz anderes bedeuten.
Die Frage war: was?
Die Rezeptionistin schloss energisch die mehrfach gestrichene Tür von Zimmer 21 auf. Das Zimmer war mit dunklen, alten Möbeln eingerichtet. Erik warf einen Blick ins Bad und ging dann |100| ohne zu zögern zu dem Bordcase, das auf der Kofferablage lag. Ohne auf die Frau zu achten, machte er den Koffer auf, der lediglich Kleidung und ein Taschenbuch enthielt. In der Vordertasche steckte die Bestätigung für ein elektronisch gebuchtes Flugticket.
Kein Hinweis darauf, wo sein Vater sein konnte. Hatte der Besucher gefunden, wonach er suchte?
Erik hätte die Rezeptionistin am liebsten zusammengestaucht, weil sie jemanden in das Zimmer seines Vaters gelassen hatte, ohne sich den Ausweis zeigen zu lassen, aber das hätte nichts genützt. Eher bestand Anlass, es sich mit dem Hotelpersonal nicht zu verscherzen.
Er zeigte der Frau die Adresse vom Brief der Katharina Kleve. »Können Sie mir sagen, ob das weit von hier ist?«
»Höchstens einen halben Kilometer. Ich zeige es Ihnen auf dem Plan.«
Wieder auf der Straße, blickte sich Erik intuitiv um. Er müsste mit der Polizei reden, das war klar. Aber der Polizei musste man möglichst viele Fakten vorlegen, weshalb er beschloss, Herman King anzurufen, den sein Vater möglicherweise getroffen hatte.
King, der ein amerikanisches Englisch sprach, war unfreundlich und ganz und gar nicht in Plauderlaune. Als Erik ihm jedoch sagte, worum es ging, änderte sich der Tonfall des Mannes, und er gab sich einen Hauch kooperativer. Eriks Vater, versicherte er, habe bisher keinen Kontakt mit ihm aufgenommen.
»Hat der Brief, den Sie meinem Vater geschickt haben, in irgendeiner Weise mit den Lockheed-Bestechungsskandalen zu tun?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Guten Tag.«
Der Mann legte auf, aber auch die unausgesprochene Antwort auf Eriks Frage war eindeutig: In dem Brief ging es ganz sicher um die alten Skandale. Aber stand auch das Verschwinden seines Vaters damit in Zusammenhang? Das wiederum schien eher unwahrscheinlich.
Erik beschloss, als nächstes Katharina Kleve aufzusuchen. Er |101| ging einige hundert Meter die von Bäumen und alten Häusern gesäumte Straße entlang. Unter anderen Umständen wäre er stehen geblieben, um einen Blick in die Schaufenster der Antiquitätenläden zu werfen, aber jetzt schenkte
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