Das Erbe des Bösen
gebracht, ein bisschen im Internet zu suchen. Dabei war er auf die Diplomarbeit eines Kommilitonen namens Ande gestoßen, die sich mit dem Verpuffungsstrahltriebwerk befasste. Prompt hatte er sich mit Ande in Verbindung gesetzt und gemeint, Mensch, jetzt bauen wir einen Marschflugkörper. Ande war natürlich begeistert. Er hatte gerade erst für ein Modellflugzeug-Vorhaben Servomotoren bestellt, und er wusste, dass es im Grunde kein Problem war, wenn man nur zehntausend Euro flüssig hatte. Und der Typ hatte das Geld.
Teemus Begeisterung für das frisch gestrichene Gerät im Licht des Halogenscheinwerfers löste sogar Raine die Zunge. »Habt ihr eigentlich gehört, dass Upi Tornainen vor zwei Jahren in Oulu die Vorstufe eines Staustrahltriebwerks gebaut hat, wobei er ein Schubrohr von Argus verwendet hat? Das war eine krasse Kiste. Einmal ist er . . .«
»Schon gut, konzentrieren wir uns auf die Arbeit«, unterbrach Roope ihn.
Ähnliche Motoren konnte man weltweit massenhaft bekommen, Tiger, Dynajet, OS, aber sie hatten das LALL I-Triebwerk selbst zusammengebaut. Auch das Steuersystem hatten sie selbst entwickelt. Ursprünglich hatten sie eine Herausforderung darin gesehen, einen gewöhnlichen GP S-Navigator in ein mit Trägheitsausgleich versehenes System umzupolen, in das dann nur noch die Koordinaten eingespeist werden mussten. Aber da keine Zeit zum langen Fummeln war, hatten sie sich für die sichere Methode entschieden: Die Route hatten sie mit Hilfe von Google Earth gewählt, ein Funkempfänger markierte das Objekt und leitete LALLI ans Ziel.
Eine große Hilfe bei dem LALL I-Projekt war ein Forschungsvorhaben gewesen, das den Titel ›Beschreibung und Modellbau von weit tragenden Luft-Luft-Flugkörpern mit Lufklappensystem‹ trug und vom Wissenschaftsausschuss der Streitkräfte finanziert worden war. Vom Luft-Luft-Flugkörper zum Marschflugkörper war der Weg nicht weit. Das Forschungsprojekt der Streitkräfte |141| hatte im Labor für Aerodynamik bereits mehrere Diplomarbeiten abgeworfen.
Aber Roope war nicht bloß ein Mann der Technik. Er wollte es gar nicht sein, im Gegensatz zu Raine und Teemu. Für die beiden stellte LALLI nur eine technische Herausforderung dar, das Ding an sich war ihnen genug, die Rekorde, die sie damit aufstellen würden, der Aufruhr in den Medien, der bald ausbrechen würde – und natürlich die Tatsache, dass sie damit die Castor-Raketenclubs der Maschinenbaustudenten von der TH in Tampere aus dem Feld schlagen würden . . .
Roopes Ziele lagen eine Stufe höher. Die politische Führung Finnlands machte die ganze übrige Welt glauben, die Finnen seien bloß blauäugige Weltverbesserer, die sich von anderen Mächten wie Lämmer am Strick herumführen ließen.
Dieser Irrtum musste korrigiert werden, und das war nicht einfach. Die Welt wurde von den Medien in Gang gehalten, und die finnischen Medien hatten sich darauf festgelegt, dem aktuellen außenpolitischen Kurs zu folgen. Beziehungsweise dem nicht vorhandenen Kurs. Und die ausländischen Medien glaubten, dass die finnische Presse die Überzeugung des Volkes widerspiegelte. Dieses Missverständnis würde jetzt aus der Welt geschafft werden. Und das sollte erst der Auftakt sein.
Gleichzeitig würden sie die Behauptung widerlegen, finnische Ingenieure verstünden es nicht, ihre Erfindungen zu vermarkten.
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Erik lag im Bett und starrte im Licht der Nachttischlampe an die hohe Decke des Hotelzimmers. Auf seine Bitte hin hatte man ihn in das Zimmer seines Vaters umziehen lassen. Neben dem Bett standen ein dunkler, massiver Tisch und ein Sessel. Das ganze Mobiliar war alt, das Zimmer hätte schon vor dem Krieg so ausgesehen haben können.
Der Anblick seines Vaters auf der Rückbank des Autos ließ ihm keine Ruhe. Mit wem war sein Vater da unterwegs gewesen? Und in welcher Angelegenheit?
Auf dem Boden lag das Bordcase des Vaters. Erik hatte es wieder und wieder durchsucht. Hatte sein »Bruder« darin schon etwas gefunden? Und der bewaffnete Mann in der Wohnung seines Vaters in Helsinki – hatte der auch etwas gefunden? Erik glaubte nicht, dass die Polizei, weder in Helsinki noch in Berlin, mit solchen Angaben besonders weit kommen würde.
Am späten Abend, als die Kinder schliefen, hatte er lange mit Katja gesprochen. Endlich hatte er ihr alles erklärt und ihr auch von Katharina Kleve erzählt. Katja war bereits jetzt aufgrund des Verhaltens und der Worte seiner Mutter misstrauisch, worüber Erik sich ärgerte.
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