Das Erbe des Bösen
Genau aus diesem Grund hatte er ja zunächst alles für sich behalten wollen: Er hatte Katjas Reaktion vorausgesehen. Sie verurteilte seine Mutter noch bevor irgendetwas sicher feststand.
Erik seufzte. War er Katja gegenüber ungerecht? Schließlich hegte auch er einen Verdacht gegen seine Mutter. Womöglich lag der wahre Grund für seinen Ärger allein bei ihm selbst. Er wusste natürlich, dass Katja und seine Mutter von Anfang an eifersüchtig |143| aufeinander waren und sich schon deswegen ständig angifteten. Aber hatte er je etwas dagegen unternommen? Nein. Er hätte besonders damals, als Katja mit Emil schwanger war und bei den pränatalen Untersuchungen Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden, seiner Mutter viel klarer entgegentreten und sich auf Katjas Seite stellen müssen. Bei Katja war nach diesem Eklat viel Bitterkeit zurückgeblieben. Offenbar hatte Erik sich an die zweifelhaften Ansichten seiner Mutter so sehr gewöhnt gehabt, dass er Katjas Zorn gar nicht wirklich verstanden hat. Nach jener Episode war innerhalb der Familie jedenfalls nichts mehr so gewesen wie zuvor.
Erik drehte sich auf die Seite und versuchte einen Plan für den nächsten Tag zu machen. Er musste rasch versuchen, mehr über die Vergangenheit seiner Eltern in Deutschland herauszufinden. Plötzlich setzte er sich abrupt auf. Im Flur waren Geräusche zu hören.
Schritte. Jemand rannte.
Eine weibliche Stimme rief wütend etwas. Eine Tür fiel heftig ins Schloss. Erik stand auf und öffnete vorsichtig die Zimmertür.
»Hilfe!«, schrie eine junge Frau aus einem nahe gelegenen Zimmer, dessen Tür offen stand.
Erik stürzte in das dunkle Zimmer und wurde so heftig zur Seite gestoßen, dass er auf die metallene Kofferablage fiel und mit dem Kopf gegen die Wand schlug. Die Schritte des Mannes, der aus dem Zimmer gerannt war, verhallten auf dem Gang.
»Haben Sie sich wehgetan?«, fragte die Frau und half Erik beim Aufstehen. Er erkannte sie. Es war die junge Studentin, die an der Rezeption arbeitete.
»Ist nicht so schlimm«, sagte Erik leicht benommen und betastete vorsichtig seinen Kopf. Immerhin blutete er nicht. »Was ist passiert?«
»Ein Fremder hat sich hier einschleichen wollen . . .«
Erst da erkannte Erik das Zimmer: Nummer 14, sein ursprüngliches Zimmer. Der Fremde hatte in sein Zimmer gewollt! |144| Rolf saß wie paralysiert im Audi, wo die schwache Deckenbeleuchtung eingeschaltet war. Das leere Versteck und der Zettel mit der finnischsprachigen Botschaft waren ein totaler Schock gewesen.
Aber es bedurfte keiner besonders komplizierten Kette von Schlussfolgerungen, um darauf zu kommen, wer von dem Versteck gewusst haben konnte.
»Ich glaube Ihnen nicht«, sagte Hoffmann schroff zu Rolf, jetzt wieder mit der Pistole in der Hand. Manfred saß am Steuer und spielte erregt mit dem Schlüssel, der bereits im Zündschloss steckte.
»Es ist die Wahrheit«, log Rolf. Die prekäre Situation machte ihn aus irgendeinem Grund sicherer. »Ich habe keine Ahnung, wer das Uranversteck ausgeräumt und den Zettel hinterlassen haben könnte.«
Die einzige vernünftige Erklärung war bei Hans zu finden. Hans hatte die Finnin Kirsti geheiratet, und ihr gemeinsamer Sohn Markku lebte in Finnland. Der Text auf dem Zettel deutete aber auf einen jüngeren Menschen hin – also eher auf Markkus ungefähr zwanzigjährigen Sohn als auf den bald sechzigjährigen Markku selbst.
Aber warum um Himmels willen hätte Robert Plögger das Uran holen sollen?
Rasch rechnete Rolf das genaue Alter des Jungen aus. Er musste neunzehn sein. Rolf hatte ihn noch nie gesehen, auch Roberts Vater Markku war er nur einige Male begegnet, zuletzt irgendwann Mitte der Neunzigerjahre.
In Hoffmanns Augen war ein gefährlicher Glanz getreten. »Sie wissen ganz genau, wer etwas von dem Versteck gewusst haben kann. Und von den Tagebüchern. Es wird höchste Zeit für Sie zu entscheiden, ob Sie lieber Ihre Enkelkinder oder die Erben von Hans Plögger schützen wollen.«
Rolf zuckte zusammen. Hoffmann wusste also Bescheid.
»Robert Plögger hat die Tagebücher seines Großvaters aus derselben Quelle bekommen wie wir«, fuhr Hoffmann fort.
|145| Rolf hörte mit wachsender Verwunderung zu.
»Aus welcher Quelle?«, fragte er, ohne erst zu versuchen, seine Überraschung zu verbergen. »Und warum haben Sie dann nichts unternommen, wenn Sie schon wussten, dass Robert die Tagebücher hat?«
»Wie hätten wir denn erraten sollen, dass er sich auf die Suche nach dem Uran
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