Das Erbe des Loewen
schob ihrem Vater einen Löffel Suppe in den Mund. „Und Laurel, merke dir, nicht jeder Außenstehende ist wie Aulay Kerr.“
Nein, Kieran war in keiner Weise wie Aulay. Ihr verstorbener Gemahl war mager von Gestalt gewesen, schleichend wie eine Schlange und hatte leise gesprochen. Sie hatte auch von Aulay geträumt. In jener Nacht, ehe sie sich vermählte. Einen seltsamen, düsteren Albtraum von einer steilen Klippe, tosendem Wasser und einem heulenden Hund. Es hatte Tage gedauert, bis dieser Traum Wirklichkeit geworden war, und sie hatte die Gefahr nicht erkannt, bis es beinahe zu spät gewesen war, um sich und diejenigen, die sie liebte, zu retten. Dieses Mal wollte sie nicht so rasch ihre Vision von sich schieben. Kieran Sutherland musste gehen.
„Kieran? Kieran, kannst du mich hören?“ rief Rhys.
Kieran erwachte in völliger Dunkelheit, mit einem schrecklichen Hämmern in seinem Kopf. Er kämpfte gegen den Schmerz, hob das Kinn und antwortete mit krächzender Stimme: „Was, zur Hölle, ist geschehen?“
„Du warst hinter dem jungen Draufgänger her, der uns gefangen nahm. Einer seiner Männer nahm sich die Freiheit, dir
eins über den Kopf zu geben.“
„Er fühlt sich an, als hätte er ihn entzwei gespaltet. Wo sind wir?“
„In einer Hütte. Ohne Fenster, und dem Modergeruch nach zu urteilen, wird sie wahrscheinlich als Lager für Getreide benutzt“, fügte Rhys hinzu.
„Dem Himmel sei Dank. Ich dachte schon, der Schlag hätte mich geblendet.“ Er versuchte sich aufzusetzen und merkte, dass seine Hände auf den Rücken gebunden waren. „Was ist mit den anderen?“
Staub wirbelte auf, als Rhys sich bewegte. „Man hat sie in einen anderen Teil der Burg gebracht. Wie fühlst du dich?“ „Wie ein Narr. Wenn ich daran denke, dass ich geradewegs in Duncan MacLellans Falle gelaufen bin - von irgendeinem unerfahrenen Burschen übertölpelt.“
Rhys schnaufte verächtlich. „Ich meinte deinen Kopf. Doch wenn du bereits wieder deinem Ärger Luft machst, muss es dir gut gehen.“
„Nein, erst wenn ich mich gerächt habe. Ich werde mit Duncan und Ellis beginnen und mir am Ende den Burschen vorknöpfen, der ...“
„Ich glaube nicht, dass Ellis etwas davon wusste. Hast du nicht gesehen, wie entsetzt er war, als der Knabe auftauchte und uns aufforderte, die Waffen abzulegen?“
„Nein.“ In diesem Augenblick hatte ihn bereits ein roter Nebel eingehüllt, der alles außer dem unverschämten Grinsen des Burschen um ihn herum verschwimmen ließ. Er hatte nicht nur einen Pfeil auf ihn abgeschossen, sondern auch noch gefordert, er solle sich ergeben, indem er Jamie bedrohte. „Ich hätte nicht einlenken sollen. Wahrscheinlich hätte er Jamie nichts angetan.“
„Es ist nicht deine Art, das Leben anderer zu gefährden“, sagte Rhys leise. „Ich frage mich, ob wir vielleicht einen Fehler begangen haben.“
„Der Fehler wurde von den MacLellans begangen, und ich werde ihn mit der Spitze meines Schwertes beheben. Niemand betrügt mich. Niemals wieder.“ Obwohl acht Jahre seit jener Nacht vergangen waren, die sein Leben zerstört hatte, war die Wunde in seinem Herzen noch immer nicht verheilt. Er fluchte und wandte seine Gedanken einer möglichen Flucht zu. Bei dem schwachen Lichtschimmer, der durch die Ritzen der Tür drang, konnte er Rhys auf dem Boden in seiner Nähe wahrnehmen. Ohne den Schmerz in seinem Kopf zu beachten, rollte er sich zu seinem Freund. „Dreh dich herum. Sieh zu, dass du die Fesseln an meinen Handgelenken lösen kannst.“
Während Rhys an dem Hanf zerrte, beschrieb er die Burg, die offensichtlich das Zuhause des jungen Haudegens war. Die Burg lag auf einem Stück Land in der Mitte eines Sees. Edin war von zwei miteinander verbundenen Türmen umschlossen. Es gab einen äußeren und einen inneren Burghof mit Kasematten und einem Garten. Die wenigen Festungsanlagen, die Kieran an der Grenze gesehen hatte, bestanden aus einem einfachen Haus und einem festen Wehrturm, in den der Laird und seine Leute flüchten konnten, wenn Gefahr drohte. Edin dünkte ihm mehr wie ein Landsitz weiter nördlich.
Wie Carmichael Castle. Kierans Zuhause, sein Erbe, um das sein Onkel ihn gebracht hatte.
„Ich hätte allerdings ein besseres Gefühl, Edin Tower schützen zu können, wenn es rundum eine Festungsmauer gäbe“, sagte Rhys.
„Es gibt keine Mauer?“ rief Kieran aus und vergaß, dass er die MacLellans für den Überfall aus dem Hinterhalt bestrafen und nicht beschützen wollte.
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