Das Erbe des Loewen
Händen und zog es über ihr Nachthemd.
„Halt, halt. Langsam, oder Ihr zerreißt es“, schimpfte Annie. „Indes, Ihr habt genug Kleider, mit all den lieblichen Sachen, die Laird Duncan für Eure Hochzeit mit Aulay Kerr letztes Jahr anfertigen ließ“, fügte sie hinzu, als sie Laurel wieder entkleidete.
Die Erinnerung an ihre kurze Ehe und Aulays Verrat ließ Laurel erzittern. Das geschah, wenn man einem Außenseiter vertraute.
„Neue Kleidung war das einzig Gute, was bei diesem Wirrwarr herausgekommen ist“, sagte Annie, als sie das Gewand aus blauer Wolle Laurel über den Kopf zog. „Ich weiß, es ist eine Sünde, von den Toten schlecht zu sprechen ... “
„Ich bin sicher, der Allmächtige macht bei Aulay eine Ausnahme“, sagte Laurel. Ihr verstorbener, von niemandem beweinter Gatte war mehr ein Diener des Teufels als Gottes gewesen.
„Wer hätte gedacht, dass so ein netter, sanfter Mann so verdorben sein konnte! Zu schade, denn wir hätten einen starken
Mann gebrauchen können, der uns nun verteidigt.“
Ja. Er war ein starker Mann gewesen. Laurels Kehle brannte noch bei der Erinnerung an Aulays Hand, die sich wie ein Schraubstock um ihren Hals geschlossen hatte. Ein starker, habgieriger Mann.
„Er denkt, Ihr solltet wieder heiraten.“
„Was?“ Schreckensbleich wirbelte Laurel herum. „Wer?“ Annie blinzelte. „Er selbst. Er sprach darüber mit Lady Nesta, als ich ihm gestern Abend seine Brühe brachte.“
„Warum möchte Großvater mich wieder zu einer Ehe drängen, da die erste doch so schlecht geendet hatte?“
„Er denkt wohl an Euch und den jungen Malcolm“, sagte Annie und legte beruhigend ihre Hand auf Laurels Arm. „Damit Euch jemand beschützt, wenn ... falls ...“ Ihre Stimme versagte, doch Laurel verstand nur zu gut, was sie meinte.
Wenn Duncan starb, dann blieb nur sie selber, um den Clan der MacLellans anzuführen, bis ihr Bruder alt genug war. Armer Collie, erst sieben Jahre alt geworden, schlaksig und unbeholfen wie ein Fohlen, doch bestrebt, ihren Clan zu verteidigen. „Ich muss zu Großvater.“ Sie wollte zur Tür eilen.
„Bleibt stehen.“ Die Magd hielt Laurel an ihrem hüftlangen roten Haar zurück und begann, die Locken zu entwirren. „Keine Eile. Er ist gerade erst aufgewacht, als ich die Treppe hochkam.“
„Wie geht es ihm?“
„Schlecht gelaunt wie immer. Mutter sagt, dies sei ein sicheres Zeichen, dass er sich auf dem Weg der Besserung befinde“, antwortete Annie sanft.
Laurel wandte sich um, nachdem Annie ihren Zopf mit einer goldenen Schnur geschmückt hatte. Sie würde sie durch ein ledernes Band ersetzen, bevor sie ausritt, doch für jetzt hatte Annie recht getan. Großvater würde sich freuen, sie wohl gekleidet und mit ordentlich gemachtem Haar zu sehen.
Nach der Wärme in ihrer Kammer war der Flur kalt, und Laurel beschleunigte ihren Schritt, hob den langen Rock, um nicht auf der schmalen Steintreppe, die zum ersten Stockwerk hinunterführte, zu stolpern. Aus der großen Halle drangen ein schwacher Lichtschein und die gedämpften Stimmen der Männer, die Bier und Brot zu sich nahmen, bevor sie wieder ausritten, um Wache zu halten. Laurel blieb am Eingang stehen und betrachtete ihre Gesichter, die, ob alt oder jung, besorgt und müde blickten. Edin Valley war zwar sicher und durch einen engen Pass geschützt, doch nicht uneinnehmbar. Sollten die
Plünderer in großer Zahl angreifen, dann bezweifelte Laurel, dass die MacLellans standhalten konnten.
Seufzend wandte sie sich von der Halle ab und trat in den schwach beleuchteten Durchgang, der zu jenem Raum führte, der ihrer Großmutter als Söller gedient hatte, bevor der neue Turm mit den Gemächern für den Laird erbaut worden war. Hierher hatten die Männer ihren verwundeten Anführer vor zwei Wochen gebracht. Laurel konnte die Stunden der Verzweiflung nicht vergessen, als sie und ihre Tante Duncans Wunde versorgt hatten. Es gelang ihnen, ihn zu retten, doch noch drohte der Tod durch das Wundfieber.
Erleichtert sah Laurel, dass Duncan wach war, gestützt auf Kissen, um ihm das Atmen zu erleichtern, denn das Schwert war gefährlich nahe bei seiner Lunge eingedrungen. Im harten Licht der Kerze, die neben seinem Bett stand, schien seine Haut kreidebleich. Die Augen, die voll Lebenskraft geleuchtet hatten, starrten nun dumpf zum Kamin.
Sie folgte seinem Blick und sah, dass Tante Nesta trotz der frühen Stunde bereits hier war. Gekleidet wie immer in ein weites schwarzes Gewand, hockte
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