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Das Erbe des Zauberers

Das Erbe des Zauberers

Titel: Das Erbe des Zauberers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Zauberer hinzu. »Ich wußte nicht, daß man zuerst hin und her rennen und den Stiel verfluchen muß.«
    »Ein Trick«, erklärte Granny.
    »Außerdem habe ich mir immer vorgestellt, sie flögen schneller«, brummte Knallwinkel. »Und höher.«
    »Was soll das heißen: höher?«, fragte Oma Wetterwachs und versuchte, das Gewicht des Zauberers auszugleichen, als sie stromaufwärts schwebten. Wie alle Soziusfahrer seit dem Anbeginn der Zeit bestand er hartnäckig darauf, sich zur falschen Seite zu beugen.
    »Nun, zum Beispiel über den Bäumen«, murmelte Knallwinkel und duckte sich unter einem tropfnassen Zweig hinweg, der ihm den Hut vom Kopf riß.
    »Mit diesem Besen ist alles in bester Ordnung«, behauptete die Hexe. »Du bist eben nur ein paar Dutzend Kilo zu schwer. Willst du lieber absteigen und zu Fuß gehen?«
    »Ganz abgesehen von der Tatsache, daß meine Füße fast immer den Boden berühren …«, brummte Knallwinkel. »Ich möchte dir keine Umstände machen. Wenn mich jemand um eine Liste der Gefahren beim Fliegen gebeten hätte, wäre es mir nie in den Sinn gekommen, hohe Dornbüsche zu erwähnen, die einem die Haut von den Beinen kratzen.«
    »Rauchst du?«, fragte Granny und blickte grimmig geradeaus. »Irgend etwas brennt hier.«
    »Der rasende Flug setzt meinen Nerven arg zu. Und eine gute Zigarette beruhigt.«
    »Der Gestank ist unerträglich. Drück das Ding aus, auf der Stelle. Und halt dich fest.«
    Der Besen stieg höher und beschleunigte auf die Geschwindigkeit eines altersschwachen Joggers.
    »Herr Zauberer.«
    »Ja?«
    »Als ich eben sagte, du sollst dich festhalten …«
    »Ja?«
     
    Kurze Stille folgte.
    »Oh. Äh. Ich verstehe. Tut mir schrecklich leid.«
    »Ist nicht weiter schlimm.«
    »Mein Gedächtnis ist nicht mehr das, was es einmal war. Ich versichere dir …Äh, ich wollte dir keineswegs zu nahe treten …«
    »Schon gut.«
    Erneut schloß sich Schweigen an.
    »Aber da wir gerade dabei sind«, sagte Oma Wetterwachs nachdenklich. »Um ganz ehrlich zu sein: Ich würde es vorziehen, du nimmst die Hände weg.«
     
    Regen prasselte auf die Unsichtbare Universität herab und strömte in die Dachrinnen. Die Rabennester des vergangenen Sommers tanzten wie kleine zerbrechliche Boote auf den schäumenden Fluten. Das Wasser gurgelte durch uralte, hier und dort verstopfte Rohre. Es kroch unter die Schindeln und begrüßte dicke Spinnen. Es spritzte über Giebel und bildete verborgene Seen in dem Labyrinth aus Türmen und Minaretten.
    Ganze Ökologien lebten im Dachgebälk der Universität, die noch weitaus größer und komplexer war als alle jemals erdachten FantasyFesten, Horrorburgen und Märchenschlösser. Vögel zwitscherten in kleinen Dschungeln aus Apfelkernen und Kräutersamen. Frösche schwammen in Regenteichen. Und ein Ameisenvolk nahm gerade die Aufgabe in Angriff, eine interessante und höchst komplizierte Zivilisation zu schaffen.
    Die vom dunklen Himmel herabströmende Nässe erwies sich in vielerlei Hinsicht als sehr leistungsfähig, doch eine Möglichkeit blieb ihr verwehrt: Sie konnte nicht aus den kunstvoll verzierten Wasserspeiern gurgeln. Als sich die ersten finsteren Wolken am fernen Horizont zeigten, machten sich die entsprechenden Statuen aus dem (noch trockenen) Staub und versteckten sich in den Dachkammern. Was ein weiterer Beweis dafür ist, daß man Häßlichkeit nicht mit Dummheit gleichsetzen darf.
    Es regnete Bäche und Flüsse. Es regnete Seen und Meere. Hauptsächlich aber regnete es durchs Dach über dem Großen Saal. Das magische Duell zwischen Oma Wetterwachs und Knallwinkel hatte dort eine breite Öffnung hinterlassen, und Treatle gewann allmählich den Eindruck, daß der Regen einen ganz persönlichen Groll gegen ihn hegte.
    Er saß auf einem Tisch und beaufsichtigte einige Studenten, die Gemälde und Wandbehänge abnahmen und in Sicherheit brachten. Treatle entschied sich deshalb für einen Tisch, weil der Boden bereits zwanzig Zentimeter unter Wasser stand.
    Unglücklicherweise handelte es sich nicht um Regenfluten, sondern Wasser mit einer echten Persönlichkeit – mit jener Art von deutlich ausgeprägtem Charakter, den es bekommt, nachdem es mehrere Kilometer weit über schlammiges Ackerland geflossen ist. Mit anderen Worten: Es war richtiges, anständiges Ankh-Wasser: zu fest, um es zu trinken, zu dünnflüssig, um es zu pflügen.
    Der Strom hatte schon vor einer ganzen Weile beschlossen, weit über die Ufer zu treten und die Stadt zu erforschen.

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