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Das Erbe des Zauberers

Das Erbe des Zauberers

Titel: Das Erbe des Zauberers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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könnte gefährlich sein. Aber glaub mir: Ausreichendes Unwissen ist weitaus schlimmer.«
     
    »Du wolltest dich mit dem Borgen nicht zufriedengeben und bestandest darauf, einen fremden Leib zu übernehmen. Inzwischen dürftest du wissen, daß man Körper mit … mit Prägemassen vergleichen kann. Sie geben ihrem Inhalt eine bestimmte Form. Das Bewußtsein eines Mädchens kann in einem Adler nicht überleben. Zumindest nicht lange.«
    »Ich wurde zu einem Adler?«
    »In gewisser Weise.«
     
    Granny überlegte einige Sekunden lang. Sie legte immer dann eine kurze Pause ein, wenn die Gespräche mit Eskarina zu einer übermäßigen Strapazierung ihres Vokabulars zu führen drohten.
    »Nein«, erwiderte sie schließlich. »Nicht in dem Sinne, wie du das meinst. Du warst nur ein Adler mit manchmal recht seltsamen Visionen. Während du davon träumtest, zu fliegen und an hohen Graten entlangzugleiten, stellte sich der Vogel vielleicht vor, auf dem Boden herumzulaufen und zu sprechen.«
    »Oh!«
    »Aber jetzt ist alles vorbei«, sagte Granny und schenkte ihr ein dünnes Lächeln. »Du bist wieder du selbst, und der Adler hat sein eigenes Bewußtsein zurück. Er sitzt in der großen Buche beim Abort. Ich schlage vor, du bringst ihm einen Futternapf.«
    Eskarina nahm mit überkreuzten Beinen Platz und blickte ins Leere.
    »Ich entsinne mich an einige seltsame Dinge«, murmelte sie nachdenklich. Granny drehte sich erschrocken um.
    »Ich meine, ich sah sie in einer Art Traum«, erklärte Eskarina. Die alte Hexe musterte sie so entsetzt, daß sie innehielt und fürchtete, etwas Falsches gesagt zu haben.
    »Was für Dinge?«, fragte Granny leise.
    »Große unheimliche Geschöpfe. Sie saßen einfach nur da.«
    »War es dunkel? Ich meine: Hockten die Wesen im Dunkeln?«
    »Ich glaube, ich erinnere mich an Sterne. Granny?«
    Oma Wetterwachs starrte zur Wand.
    »Granny?«, wiederholte Esk.

»Mhm? Ja? Oh.«
    Die alte Hexe schüttelte sich. »Ja, ich verstehe. Nun, ich möchte, daß du jetzt runtergehst, den Schinken aus der Speisekammer holst und ihn dem Adler bringst. Es wäre sicher eine gute Idee, ihm zu danken. Vorsichtshalber.«
    Als Esk zurückkehrte, strich Granny gerade Butter auf Brotscheiben. Sie zog einen Stuhl an den Tisch heran, aber die alte Frau winkte mit dem Messer.
    »Zuerst müssen wir noch etwas erledigen. Steh auf und sieh mich an!«
    Esk gehorchte verwundert. Granny legte das Messer in den Brotkasten und schüttelte den Kopf.
    »Verflixt!«, brummte sie – ein Standardfluch, der verdeutlichte, was sie von der Welt im großen und ganzen hielt. »Ich habe keine Ahnung von den Einzelheiten des Rituals, aber ich bin sicher, daß es eins gibt. Bestimmt verzichten sie bei so etwas nicht auf eine Zeremonie. Hach, ich kenne die Zauberer: Sie müssen dauernd alles komplizierter machen …«
    »Wovon sprichst du überhaupt?«
    Oma Wetterwachs schenkte ihr keine Beachtung, marschierte durchs Zimmer und näherte sich einer dunklen Ecke neben dem Kleiderschrank.
    »Wahrscheinlich müßtest du mit dem linken Fuß in einem Eimer stehen, der kalten Haferbrei enthält, einen Handschuh überstreifen und … und was weiß ich«, fuhr die alte Frau fort. »Nun, ich hätte lieber darauf verzichtet, aber sie lassen mir keine Wahl.«
    »Ich verstehe noch immer nicht …«
    Die Hexe holte den Zauberstab hervor und zeigte ihn Esk.
    »Hier. Er gehört dir. Nimm ihn! Ich hoffe nur, es ist richtig, daß du ihn bekommst.«
    Granny hatte nicht ganz unrecht: Normalerweise wird einem jungen Zauberer der Stab im Verlaufe einer höchst eindrucksvollen Zeremonie überreicht, die noch feierlicher ist, wenn es sich um das Erbstück eines älteren Magiers handelt. Das recht anstrengende und langwierige Ritual geht auf eine ehrwürdige Tradition zurück, und man verwendet dabei unter anderem Masken, Kapuzen, Schwerter und ähnliches Zubehör. Darüber hinaus wird ausgiebig geflucht und geschworen, wobei es nicht an drohenden Hinweisen auf abgeschnittene Zungen, aus dem Leib gerissene Gedärme und in acht Winde verstreute Asche fehlt. Nach dieser mehrstündigen Geduldsprobe findet der Novize schließlich Aufnahme in die Bruderschaft der Weisen und Erleuchteten.
    Natürlich werden auch lange Ansprachen gehalten. Oma Wetterwachs gelang es durch reinen Zufall, alles Wichtige mit wenigen Worten zum Ausdruck zu bringen.
    Esk nahm den Stab entgegen und betrachtete ihn neugierig.
    »Hübsch«, sagte sie unsicher. »Insbesondere die Schnitzmuster. Was hat

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