Das Erbe des Zauberers
es damit auf sich?«
»Setz dich jetzt! Und hör mir wenigstens einmal aufmerksam zu. Kurz vor deiner Geburt …«
»… und das wär’s im großen und ganzen.«
Eskarina starrte auf den Stab und sah dann Granny an.
»Ich soll Zauberer werden?«
»Ja. Nein. Ich weiß nicht genau.«
»Das ist keine richtige Antwort«, erwiderte Esk vorwurfsvoll. »Du hast eben gesagt, der Zauberstab gehöre mir und …«
»Frauen und Zauberei sind wie Feuer und Wasser«, entfuhr es Oma Wetterwachs. »So etwas läßt sich nicht miteinander vereinen. Ebensogut könntest du versuchen, dir deinen Lebensunterhalt als … als Schmiedin zu verdienen.«
»Nun, ich habe meinem Vater bei der Arbeit zugesehen, und eigentlich …«
Granny seufzte. »Weibliche Zauberer sind genauso unmöglich wie männliche Hexen.«
»Was ist mit Hexenmeistern?«, fragte Esk interessiert. Die alte Frau rollte mit den Augen.
»Ich meine, es gibt keine männlichen Hexen, nur dumme Männer«, entgegnete Granny mit dem gebotenen Nachdruck. »Wenn Männer Magie beschwören, sind sie keine Hexen, sondern Zauberer. Es läuft alles auf Pschikologie hinaus.«
Sie klopfte sich auf den Kopf. »Auf die Arbeitsweise des Verstandes. Weißt du, das Bewußtsein von Männern funktioniert irgendwie anders als unser Bewußtsein. Ihre Thaumaturgie besteht aus Zahlen, Geraden, Kurven und irgendwelchen Sternkonstellationen – als ob so etwas eine Rolle spielte. Sie ist nur … Macht, nichts weiter als …«
Granny zögerte und wählte ihr Lieblingswort, um all das zu beschreiben, was sie an der Zauberei verachtete. »… Gehmetrie.«
»Na schön«, sagte Eskarina erleichtert. »Dann bleibe ich hier und lerne die Hexenkunst.«
»Ach«, brummte Granny niedergeschlagen, »wäre es doch so einfach! Aber ich fürchte, dabei ergeben sich einige Probleme.«
»Aber du hast doch gerade gesagt, Männer könnten nur Zauberer sein, und für Frauen käme allein die Hexerei in Frage. Gewissermaßen ein Naturgesetz, stimmt’s?«
»Ja, in der Tat.«
»Nun«, fügte Esk triumphierend hinzu, »dann ist ja alles geregelt, oder? Es bleibt mir nichts anderes übrig, als eine Hexe zu werden.«
Granny deutete auf den Zauberstab. Das Mädchen zuckte mit den Achseln.
»Es ist nur ein alter Stock.«
Oma Wetterwachs schüttelte den Kopf. Esk zwinkerte.
»Nein?«
»Nein.«
»Und ich kann keine Hexe sein?«
»Ich weiß nicht, was du sein kannst. Halt den Stab!«
»Was?«
»Halt den Stab. Ich habe eben einige Scheite in den Kamin gelegt. Setz sie in Brand!«
»Die Zunderbüchse liegt …«, begann Eskarina.
»Du hast mich einmal darauf hingewiesen, man könne ein Feuer wesentlich leichter entzünden. Zeig’s mir!«
Granny stand auf. Sie schien im Halbdunkel der Küche zu wachsen, und ihre Gestalt verschmolz mit bedrohlich wirkenden Schemen und Schatten. In den Augen der alten Hexe blitzte es, als sie Esk ansah.
»Zeig’s mir!«, befahl sie scharf. Ihre Stimme war so kalt wie Eis.
»Aber …«, setzte Esk an. Sie preßte den Zauberstab an sich und wich so hastig zurück, daß sie dabei den Stuhl umstieß.
Mit einem erschrockenen Schrei drehte sich Esk um. Funken stoben ihr von den Fingerkuppen und gleißten durchs Zimmer. Das Holz im Kamin explodierte so heftig, daß die Druckwelle Möbelstücke durch den Raum schleuderte. Ein großer Ball aus zischend lodernder grüner Glut bildete sich.
Flammen leckten gierig, als die Kuppel über festen Stein rollte, der erst laut knackte und sich dann verflüssigte. Der eiserne Kaminschirm hielt tapfer einige Sekunden lang stand, bevor er wie Wachs schmolz. Er metamorphierte zu einem roten Fleck am Feuerball und löste sich schließlich ganz auf. Den Kessel ereilte wenig später ein ähnliches Schicksal.
Als sich die Mauern des Schornsteinschachts in der Hitze verformten, gab der granitene Untergrund nach, und mit lautem Prasseln verschwand die irrlichternde Kugel im Boden.
Es knisterte dumpf, und Dampf wehte aus der runden Öffnung – deutliche Hinweise darauf, daß sich der Ball unaufhaltsam einen Weg durch die Scheibenweltkruste brannte. Es folgte jene Art von beständig brummender Stille, die man nach ohrenbetäubendem Lärm als eine Art Erlösung empfindet, und als das aktinische Grellen verblaßte, schien es in der Küche stockfinster zu sein.
Nach einer Weile kroch Oma Wetterwachs hinter dem Tisch hervor und näherte sich vorsichtig dem Loch im Boden, an dessen Rand noch immer Lava brodelte. Sie sprang zurück, als eine
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