Das Erbe von Glen Crannach
nicht ausgerechnet mit Greg McKeown hier wäre.
“Wie weit ist es denn bis zu unserem Hotel?”, fragte sie. “Ich könnte allmählich wieder etwas zu essen vertragen.”
“Hotel?”, wiederholte Greg erheitert. “Ich fürchte, auf Mhoire muss das erste Hotel noch gebaut werden.”
Sie presste die Lippen zusammen. Es bereitete ihm solches Vergnügen, sie zu korrigieren! “Dann eben Gasthaus. Oder eine Pension. Wo auch immer wir die Nacht verbringen werden.”
“Auf die Gefahr hin, Sie zu enttäuschen – es gibt hier auch keine Gasthäuser oder Pensionen. Dafür ist die Nachfrage nicht groß genug.”
“Wo werden wir denn schlafen? Auf Heidekraut unter den Sternen?”
“Wenn Sie das möchten, lässt es sich bestimmt einrichten.” Er hielt ihren Blick einen Moment fest. “Sagen Sie bloß, dass sich in Ihrer kalten, berechnenden Seele eine Spur Romantik verbirgt?”
Kalt und berechnend – dachte er das wirklich von ihr? Wenn es so war, bewies das, wie wenig er sie verstand. Sie fühlte sich verletzt. Ohne seine Frage zu beantworten, schaute sie wieder auf die Straße. Wohin auch immer er sie brachte, sie würde es bald sehen.
Die Sonne war bereits hinter dem Horizont verschwunden, als Greg vor einem weiß getünchten Bauernhaus an einer malerischen Stelle des Tals anhielt.
“Wir sind da”, erklärte er. “Kommen Sie. Ich möchte Sie mit Davie und Katherine McLeod bekannt machen, unseren Gastgebern für heute Nacht.”
Sie stiegen aus und gingen zum Eingang. Greg klopfte, und gleich darauf wurde die Tür geöffnet. Auf der Schwelle stand eine junge Frau, hinter deren Rock sich zwei kleine Kinder versteckten. Bei Gregs Anblick begann sie zu strahlen.
“Greg McKeown! So eine Überraschung! Komm rein. Du glaubst gar nicht, wie ich mich freue, dich zu sehen. Davie wird vielleicht Augen machen!”
In dem schmalen Flur stellte Greg Camilla vor. Katherine McLeod schüttelte ihr die Hand und betrachtete Camilla freundlich. “Schön, dass Sie da sind. Eine Freundin von Greg ist immer willkommen.”
Im Wohnzimmer saß Katherines Mann Davie vor dem Kamin. Um Davie scharten sich drei weitere Kinder verschiedenen Alters. Kaum waren Greg und die beiden Frauen eingetreten, legte er das Märchenbuch weg, aus dem er vorgelesen hatte, und stand auf. Ein breites Lächeln erschien auf seinem Gesicht. “Greg, alter Junge, du kommst gerade rechtzeitig. Katherine hat das Abendessen auf dem Herd.”
Camilla war zugleich dankbar und beeindruckt, als sie und Greg sich zu Katherine, Davie und den Kindern an den üppig gedeckten Küchentisch setzten. Sie hatte Katherine und Davie erst vor einer halben Stunde kennengelernt, wurde aber bereits wie eine langjährige Freundin behandelt. Camilla fühlte sich hier sehr wohl.
Während sie das köstliche Eintopfgericht aus Lammfleisch, Kartoffeln und Gemüse verspeiste, sah Camilla immer wieder verstohlen zu Greg hinüber. Die McLeods hielten offenbar große Stücke auf ihn und freuten sich, ihn zu Gast zu haben. Noch erstaunlicher fand sie, dass “Onkel Greg”, wie die Kinder ihn nannten, sich so natürlich in dieses einfache Milieu einfügte. Ohne sich nach außen hin eine Spur zu verändern, war dieser ungezähmte und unberechenbare Mann plötzlich ein Teil dieser großen, warmherzigen Familie geworden.
Irgendwann kam das Gespräch auf den Grund, warum Greg und Camilla auf der Insel waren. Davie und Katherine tauschten einen Blick.
“Ich habe etwas läuten hören, dass kürzlich ein Fremder auf der Insel war”, berichtete Davie. “Ein junger Mann Anfang zwanzig, heißt es. Allerdings haben wir ihn nicht selbst gesehen.”
Greg machte ein nachdenkliches Gesicht, während er diese Information verdaute.
Katherine berührte Camilla am Arm. “In einer kleinen Gemeinde wie unserer spricht es sich sofort herum, wenn Fremde auftauchen. Das ist nicht böse gemeint. Die Leute sind nur neugierig, das ist alles.” Sie wandte sich an Greg. “Wenn dieser junge Mann irgendetwas mit dem Verschwinden des Goldnebels zu tun hatte, wirst du es sehr bald erfahren.”
Doch es war schon spät, und weitere Nachforschungen mussten bis zum Morgen warten. Nachdem die Kinder ins Bett gebracht worden waren, setzten sich die vier Erwachsenen mit einer Tasse Kaffee vor den Kamin und unterhielten sich über dieses und jenes. Schließlich stand Greg auf.
“Ich glaube, es ist Zeit, dass wir schlafen gehen”, meinte er. “Davie und Katherine sind bestimmt todmüde.” Er blinzelte Camilla
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