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Das Erbe

Das Erbe

Titel: Das Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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aber sie wurde leiser und leiser. Oder vielmehr wurde sie übertönt von Jacob, der schrie: Tote kann man nicht mehr hassen.
    Dass in meinem Zustand dieser Satz überhaupt bei mir ankam, war ein Wunder. Doch je öfter ich ihn in meinem Innern wiederholte, desto stärker entfaltete er seine ganze Kraft.
    Ich hasste Tom mit jeder Nervenfaser meines Körpers und ich wollte dieses Gefühl nicht so einfach loslassen.
    Meine Augen begegneten Rose. Sie sah weg. Aber in dem Moment, als sie den Kopf wandte, erkannte ich, wie sich etwas wie Trauer in ihrer Miene abzeichnete.
    »Okay, Robert, du kommst mit mir.« Tom nahm die Waffe von Julias Stirn, schlenderte nach vorne und stellte sich neben mich. Robert folgte ihm mit ausdrucksloser Miene.
    Ich war Tom ganz nahe. Konnte in seine Augen sehen, die blau waren. Nicht ausdruckslos, wie ich eigentlich erwartet hatte – oder wahnsinnig, wie man es hätte vermuten können. Nein, eher lag in ihnen ein Ausdruck von Befriedigung und – Befreiung. Als hätte er ein Ziel erreicht. Ich war mir sicher, ihm nie begegnet zu sein, bevor ich ans Grace kam. Ich konnte mir Gesichter und Namen gut merken. Und ich vergaß nie jemanden.
    »Rose, der Schlüssel.« Er wartete, bis sie ihm das Schlüsselbund zugeworfen hatte, dann deutete er auf die Stühle. »Alle bis auf David und Julia nehmen jetzt in der zweiten Reihe Platz. Schiebt die Tische zur Seite und stellt euch einfach vor, ihr seid im Kino. Julia setzt sich vorn ans Pult. David, du nimmst einen Stuhl in der ersten Reihe, ihr genau gegenüber. Ich denke, du hast ihr viel zu sagen.«
    Bewegung kam auf. Er hatte die Szene genau geplant. Wir taten, was er verlangte. Und die ganze Zeit stellte ich mir ein Schachbrett vor. Schwarz und weiß. Zug um Zug. Auge um Auge. Eine seltsame Ruhe breitete sich in mir aus.
    »Aber wollen wir doch erst mal sehen, ob das hier keine Falle ist.« Er winkte mit der Pistole Robert und mir zu. »Am besten, ihr zieht euch aus. Dann durchsuche ich euch nach einer Waffe.«
    Wir taten, was er verlangte. Langsam. Es gab keinen Grund, sich zu beeilen.
    Ich reichte ihm meinen Pullover. Er warf ihn einfach zu Boden.
    »Die Hosen.«
    Ich zog die Hose aus, genau wie Robert. Er durchsuchte sie flüchtig, dann warf er sie uns wieder zu.
    Unwillkürlich ging meine Hand zum obersten Knopf meines Shirts, bereit, es zu öffnen, doch Tom verlor plötzlich das Interesse. Wenn er nur nach einer Waffe suchte, dann war das verständlich. Jeder hätte es sofort bemerkt, wenn ich eine Waffe unter dem eng anliegenden Shirt getragen hätte. Aber auch den Sender, der unter Roberts Achseln verborgen war, entdeckte er nicht. Oder war er ihm egal?
    »Das hier ist dein Publikum, David«, sagte er und deutete auf die Gruppe, die in den Bankreihen saßen. Dann trat er einen Schritt zur Seite und zeigte auf Nikita.
    »Du bist Nikita, oder?«, fragte Tom.
    Nikita nickte.
    »Okay, dann gibt es heute mal ein bisschen Abwechslung zu deinem Alltag als Leichtathletik-Star. Ich ernenne dich hiermit zu meinem Regieassistenten. Hast du etwas zu schreiben?«
    Nikita griff nach dem Stift, der vor ihm auf einer der Prüfungsarbeiten lag, die so abrupt unterbrochen worden war. Er drehte das letzte Blatt um und sah Tom an. Seine dunklen Augen waren zusammengekniffen, der Widerwille zu gehorchen, war ihm deutlich anzumerken.
    »Ich diktiere dir jetzt ein Passwort und das«, er nahm das Handy aus der Tasche, »gibst du dann durch das Telefon durch. Sag ihnen, damit könnten sie die Kamera freischalten.« Er deutete hinter sich auf die Videokamera in der Ecke.
    Ich hatte recht gehabt mit der Vermutung, dass Tom der Sender völlig egal war. »Das soll ein öffentliches Schauspiel werden«, sagte er. »Ich bin schließlich ein großes Publikum gewöhnt.« Er lachte und machte in diesem Augenblick einen absolut harmlosen Eindruck. Aber ich hatte Mrs Hills Leiche gesehen. Ich wusste, wozu er fähig war.
    Nikita fragte nicht, wen er anrufen sollte. Er drückte die Wahlwiederholung. Die Verbindung war sofort da.
    »Nikita Maruki«, meldete er sich.
    Jemand sprach am anderen Ende auf ihn ein.
    »Nein, alles … es ist alles in Ordnung«, stotterte er. Die Aufregung stieg sichtlich in ihm hoch, als würde er erst jetzt begreifen, in welcher Situation er sich befand.
    »Ich … ich habe den Code für die Kamera.«
    Pause.
    »Sie sollen die Videokamera … hier im Raum freischalten. Er … er will es so.«
    Es gab eine kurze Unterbrechung. Ich konnte mir vorstellen,

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