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Das Erbe

Das Erbe

Titel: Das Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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gemeinsam durch die offene Tür.
    Im ersten Moment kam es mir stockdunkel vor im Raum.
    »Tür zu!« Das war Toms Stimme irgendwo von rechts. Ich konnte ihn nicht gleich erkennen. Die Metalljalousien waren heruntergelassen und die Fassung einer Deckenlampe, die offenbar einen Schuss abgekommen hatte, hing nach unten.
    Ich reagierte automatisch, tat, was er befahl.
    Die muffige Luft schlug mir entgegen, ich konnte den Angstschweiß riechen, er betäubte mich. Ich hatte Mühe, mich zu orientieren. Dennoch, sobald ich im Raum war, empfand ich weniger Angst als draußen, wo sich die Polizei und die Sicherheitsleute den Kopf zerbrachen, wie sie die Situation in den Griff bekommen konnten. Hier konnte ich wenigstens etwas tun.
    Zuerst sah ich Julia. Schmal und blass stand sie ganz vorne neben einem halbhohen Schrank. Die Angst hatte sich in ihr Gesicht gegraben. Tiefe dunkle Linien, die sich von der weißen Haut abhoben. Ihre Augen waren auf einen Gegenstand in ihren Händen gerichtet. Einen schwarzen Kasten in Größe eines Buches. Direkt hinter ihr stand Tom. Er hielt eine Pistole an ihre Schläfe gepresst. Ich wunderte mich, dass sie überhaupt in der Lage war, sich aufrecht zu halten.
    »Hier, Rose.« Toms Stimme.
    Etwas flog durch die Luft und fiel zu Boden.
    »Schließ die Tür ab.« Das war ein Befehl.
    Ich wandte den Kopf zur Seite, wo Rose sich jetzt von der Wand löste und in die Mitte trat, um den Schlüsselbund aufzuheben. Anschließend kam sie mit erstarrter Miene auf mich zu. In meinem Kopf machte es klick und alle Sinne, jede Faser meines Körpers, jede Nervenzelle waren vernetzt. Ich musste mich dem düsteren Licht, der abgestandenen Luft und vor allem dieser Atmosphäre von Apathie und Lähmung entziehen.
    Über Roses Gesicht lief eine Spur verkrustetes Blut. Sie trug lediglich ein dünnes weißes Top, unter dem sich ein pinkfarbener BH abzeichnete. Ich wünschte mir, sie würde nicht tun, was Tom ihr befohlen hatte, sondern einfach durch diese Tür gehen und sich in Sicherheit bringen.
    Ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln, das nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde dauerte. Sie war meine Verbündete und – ihr Blick war unmissverständlich. Sie vertraute mir.
    Dann steckte sie mit ruhiger Hand den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn um, zog ihn wieder heraus und kehrte auf ihren Platz zurück.
    »Braves Mädchen«, sagte Tom und grinste boshaft. »Aber das wussten wir ja schon immer oder? Wärst eine prima Mutter geworden … für die kleine Sally.«
    Ich verkrampfte mich. Ich war überzeugt gewesen, das alles hier betraf nur mich und ihn. Was hatte die Bemerkung zu bedeuten? Rose reagierte zu meiner Überraschung überhaupt nicht, ebenso wenig wie die anderen. Nur wir wussten von Roses Vergangenheit. Das hatte ich jedenfalls gedacht. Nein, ich war mir sicher, dass Rose es niemand anderem erzählt hatte. Also musste jemand aus unserer Gruppe es ihm verraten haben. Der Einzige, der infrage kam, war Benjamin. Oder … was war mit Debbie? Ich hatte sie im Flur schreien hören, sie war eine der Ersten gewesen, die an mir vorbeigestürmt war.
    Robert neben mir holte tief Luft und löste sich von meiner Seite. Auch in mich kam Bewegung. Ich sah mich um und spürte etwas Unausgesprochenes. Es zeigte sich in der besonderen Choreografie, die den Raum beherrschte.
    Ethan, Taylor und Nikita lehnten an der Wand, an der zuvor auch Rose gestanden hatte. Ihre Haltung war abwartend, ja fast unbeteiligt. Dagegen waren Chris und Katie vorgetreten und standen nun direkt unter der zerstörten Deckenlampe, ihr Blick war nach vorne auf Julia gerichtet.
    Robert ignorierte Tom. Er ging ganz ruhig auf seine Schwester zu und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie stieß ein ersticktes Stöhnen aus. Ihre Hände umklammerten den schwarzen Gegenstand und ich begriff, dass Tom am Telefon die Wahrheit gesagt hatte. Er hatte ihr tatsächlich die Bombe in die Hand gedrückt.
    Hass stieg in mir auf, wie ich ihn noch nie empfunden hatte. Und es hatte Zeiten gegeben, da war er mein ständiger Begleiter gewesen. Wie eine lähmende Krankheit hatte er den Rhythmus meines Lebens, meine Entscheidungen bestimmt. Das hier war aber etwas völlig anderes. So ein Gefühl hatte ich noch nie erlebt. Es veränderte die Farben und ließ die Konturen des Raums verschwimmen, ließ die Grenzen meines Körpers durchbrechen.
    Was hatte Superintendent Harper gesagt? Ruhe bewahren. Sich nicht provozieren lassen. Seine Stimme hallte in meinem Kopf wieder,

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