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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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uns entdecken würde. Bis dahin aber bleibt uns nichts andres, als auf Holz zu klopfen. Hier gibt es glücklicherweise davon genügend.«
    Es wurde vereinbart, den Handstreich am Abend des kommenden Tages zu wagen. Nun galt es, diverse Vorbereitungen zu treffen, und flugs waren die Aufgaben verteilt: Kleist sollte ermitteln, welche Wege vom Deutschhaus zur Schiffsbrücke führten, wie die Tore dorthin und die Brücke selbst beschaffen waren, ob ein Zoll erhoben wurde, wie viele Wachen an den einzelnen Stationen zu erwarten waren und wie sie endlich Kastel auf dem gegenüberliegenden Ufer verlassen könnten, um zurück auf deutschen Boden, ins Fürstentum Nassau und weiter nach Kostheim zu kommen. Arnim und Bettine sollten für mehrere Stunden das Deutschhaus beobachten, um die Wachen zu zählen und die Zeiten ihrer Ablöse zu notieren. Humboldt schließlich sollte die Präfektur selbst betreten, um, in der Uniform der Nationalgarde und mit den entsprechenden Papieren ausgestattet, beim Präfekten vorzusprechen und mit ihm den Termin für die Gegenüberstellung des Gefangenen mit Agathe-Rosalie de Rambaud auszuhandeln. Nebenbei sollte er Augenmerk auf die Anzahl und Verteilung der Soldaten im Innern des Gebäudes geben und maßgeblich den Charakter des Präfekten ergründen, den sie mit ihrer Charade zuvörderst überzeugen mussten. Die schwierigste Aufgabe kam Schiller zu: Er sollte herausfinden, welche Möglichkeiten es gab, den Dauphin bis zum Abend des folgenden Tages unbemerkt von ihren Plänen zu unterrichten, sei es im Zuchthaus selbst oder auf dem Weg zur Präfektur. In einem Berg von Gerümpel aus der Zeit vor der Enteignung der Kirche hatte er unter zerschlagenen Möbeln, kaputten Statuen, Kerzenstümpfen und Altardecken auch die Kutte eines Karmelitermönchs gefunden, und als solcher gewandet, mit einem hölzernen Kruzifix versehen, wollte er sich beim Zuchthaus in der Weintorgasse umsehen.
    Bis zuletzt blieb Goethe ohne Obliegenheit, und als ihn Humboldt darauf ansprach, erklärte er, dass er auf Madame de Rambaud achtgeben würde, damit sie nicht in den letzten Stunden noch die Flucht versuche und das Vorhaben vereitele. Sollte ihm überdies noch Zeit bleiben, so wollte er sich nach einem Fass Schwarzpulver umsehen, um es in der Kutsche zu verstauen.
    »Es fehlt doch an Pulver nicht?«, fragte Schiller.
    »Das nicht, wir haben noch mehr als genug Patronen für unsre Musketen – aber wenn man in einer Stadt wie Mayence einen Husarenstreich wie den unsern wagt, kann es sicherlich nicht schaden, eine Kutsche mit wohlfeilem Sprengpulver in der Hinterhand zu haben.«
    Kleist sprang auf und frohlockte: »Vivat! Wir werden sie hinweg vom Rund der Erde blasen!«
    »So mäßigen Sie die Glut, Herr von Kleist. Ich sprach vom Notfall, der hoffentlich nie eintrifft. Vorher legt niemand Feuer an die Lunte.«
    »Und falls Sie jemand danach fragen sollte, mein Freund«, sagte Schiller, an Goethe gewandt, »wir haben heute Octidi, den achten Ventôse im Jahr XIII der Freiheit.«
    Nun schlüpfte auch schon Humboldt in seine Uniform und Schiller in den Habit des Bettelmönchs, und einer nach dem anderen verließen sie die Kirche, um ihren Aufgaben nachzugehen. Beim Hinausgehen schlug Arnim dreimal mit den Fingerknöcheln auf einen der Holzbalken, so wie es ihm Schiller geraten hatte.

    In seine Kutte gewandet, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, lief Schiller durch die Schustergasse zum Dom und durch die Augustinergasse weiter. Einige Bürger, vor allem aber französische Soldaten zeigten mit dem Finger auf ihn und lachten über diesen Mönch, dies Relikt aus den Zeiten vor Revolution und Säkularisation, dessen Anblick in Mainz so selten geworden war. Wenn es Schillers Anliegen gewesen war, sich zu verbergen, so erreichte er mit seiner Verkleidung eher das Gegenteil.
    Schiller wandelte durch eine Stadt, deren Wiederaufbau nach den Belagerungen der zurückliegenden Kriegsjahre noch immer nicht abgeschlossen war: Sein Weg führte ihn unter Gerüsten hindurch und an Baugruben, an Ziegel-, Schiefer- und Gebälkstapeln vorbei. Allgegenwärtig waren in den Mauern der Häuser die Löcher, die preußische, französische und österreichische Kugeln in den Stein getrieben hatten, da und dort klafften noch riesige Lücken in den Wänden, die die Haubitzen hineingerissen hatten. So mancher Wappenstein, so manches Vesperbild waren von den Republikanern aus dem Rahmen geschlagen worden, so manche Nische, in der ehemals die

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