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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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Lächeln aus, und gemeinsam mit den Gefährten lach te er über das Datum aus alten Zeiten. Goethe deutete eine Verbeugung vor seinem Publiko an.
    »Und wann gedenken Sie, nach Paris zurückzukehren?«
    »Am … 10. … Ventôse«, antwortete Goethe mit eini gen Mühen.
    »Das wäre schade. Reiten Sie doch erst am Primidi oder Duodi, dann können Sie den Decadi noch mit uns feiern.«
    »Eine vortreffliche Idee.«
    Der Hauptmann nickte, faltete Fouchés Vollmacht und gab sie Goethe zurück. »Sie können Ihre Pferde und die Kutsche im Stall an der Großen Bleich unterbringen. Willkommen in Mayence! Lang lebe der Kaiser!«
    »Vive l’Empereur!«
    Nachdem diese Feuerprobe bestanden war, ritten sie durchs Gautor in die Stadt, zwischen Weinbergen und Kaserne abwärts zum Tiermarkt. Die Gassen waren mitunter so eng und so gefüllt, dass Arnim auf dem Bock seine liebe Mühe hatte, die Kutsche hindurchzumanövrieren.
    »Primidi, Duodi, Decadi – dieser blitzverfluchte republikanische Kalender!«, fauchte Goethe. »Fast war’s um uns geschehen, und das nur, weil ich Tranfunzel noch royalistisch-gregorianisch denke. Man lernt nie aus. Dank gebührt Ihnen, Herr von Kleist, und seien Sie bei Gelegenheit so freundlich, uns in die hohe Arithmetik dieser törichten revolutionären Zeitrechnung einzuweihen.«
    Die Nationalgardisten, die sie am Ufer der Nahe überfallen hatten, hatten die Anweisung, Quartier in der ehemaligen kurfürstlichen Residenz zu nehmen, aber die Gefährten lenkten ihre Pferde weiter ins Innere der Stadt, vom Tiermarkt zum Fluss hinunter bis zur Löhrgasse nahe dem Rheinwall, denn dort, so hatte Goethe aus den Unterlagen von Geheimrat Voigt erschlossen, lag, unweit des Deutschhauses, die verwaiste Klosterkirche der Karmeliter. Die Franzosen hatten die Mönche im Zuge der Säkularisierung aus dem Bistum vertrieben, die Einrichtung versteigert und die Kirche zur Lagerhalle umgebaut. Diese Kirche sollte bis zur Rettung des Dauphins das verborgene Lager der Gefährten werden.
    Es war Abend geworden, und als die Gefährten die to te Karmeliterkirche mit den schwarzen Fenstern erreicht hatten, war die Gasse davor menschenleer. Eine hohe Mauer mit einer Holztür darin trennte Gasse und Kirchhof. Arnim wollte das Schloss mit einem Stiefeltritt aufbrechen, aber Bettine hielt ihn auf. Sie wollte es erst mit ihrem Geschick versuchen. Derweil ihr Kleist mit der Laterne leuchtete, stocherte sie mit einem Messer und einer Haarnadel im Schlüsselloch herum und erzählte, dass sie sich als Kind, wenn die Nonnen ihrer Klosterschule sie wegen ihrer Streiche unter Arrest gesetzt hatten, auf diese Weise so manches Mal aus ihrer Zelle befreit hatte. Und tatsächlich schnappte das Schloss bald auf, und der Weg in den Hof der Kirche war frei. Im Schutz der Dunkelheit luden sie ihr Gepäck aus. Während Humboldt mit Kleist, der darum bat, diesen begleiten zu dürfen, Pferde und Kutsche zu den Stallungen der Garnison brachte, begaben sich die anderen in den Hof und schlossen die Holztür zur Gasse hinter sich.
    Vor ihnen erhob sich die hohe, hagere Front des Gotteshauses, das gotische Fenster in ihrer Mitte wie ein eingelassener Grabstein. Als Goethe die Kirchtür aufstieß, knarrte es gespenstisch in den Angeln. Einzig Madame de Rambaud bekreuzigte sich, als sie die Kirche betrat, denn darinnen war wenig, was an eine Kirche erinnerte. Das Gebäude diente als Holzmagazin. Wo einst Gestühl gestanden und Altäre und Schnitzereien von den Wänden gegrüßt hatten, lehnten und lagen nun überall abgezoge ne Stämme, Bohlen und Balken. Etwa auf Höhe der Bögen zu den Seitenschiffen hatte man einen Zwischenboden eingezogen, um den Raum der hohen Kirche zweifach zu nutzen, sodass man nicht bis an die Gewölbe sehen konn te. Auch der Blick zum Chor war durch Bretterverschläge vollkommen verdeckt. Die Wände waren achtlos geweißt worden, und nur hier und dort schienen die darunterliegenden Gemälde blass hindurch, die gepeinigten Gesichter des Heilands und der Heiligen wie in Milch ertrunken. Die Fliesen waren von Splittern und Spänen bedeckt. Spinnennetze, Staub und der Geruch von Holz und Harz waren überall. Die Eindringlinge hatten, als die Tür wieder geschlossen war und einige Wachslichter entzündet, ob der Gerüste und Holzbalken das Gefühl, nicht in einer Kirche, sondern vielmehr im Kielraum eines auf Grund gelaufenen Schiffes zu stehen. Dieser Unterschlupf mochte verborgen sein, aber er war alles andere als gemütlich.
    Sie

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