Das Erlkönig-Manöver
noch die Stadtmauer und wenige Schritt entfernt eines der Tore zum Rhein.
Auf dem kleinen Kirchhof vor Sankt Peter fanden Arnim und Bettine eine steinerne Bank, auf der sie sich niederließen. Von hier aus konnten sie das gegenüberliegende Deutschhaus trefflich beobachten und waren doch im Schatten der Kirche und zwischen den Bäumen verborgen genug, kein Aufsehen zu erregen, denn vor dem Palais Impérial wimmelte es nur so von französischen Soldaten und Offizieren. Arnim nahm nun einen Bogen Papier und einen Griffel hervor und Bettine Goethes Taschenuhr, die er ihr ausgeliehen hatte, und gewissenhaft notierten sie Zahl und Bewegungen der Bewacher.
Die Kälte war ihnen keine Last, denn sie hatten sich dick genug eingekleidet, aber die Langeweile zehrte an Bettine. Während Arnim auch dann schrieb, wenn vor der Präfektur nichts geschah, wurde sie nach Ablauf zweier Stunden unruhig auf der Bank.
»Viel lieber würde ich auf diese Bäume klettern«, sag te sie, den Blick in die kahlen Wipfel gerichtet, »als starr unter ihnen zu sitzen und darauf zu warten, dass mein Hintern und dieser Stein eins werden.«
»Pfui über dich«, schalt er. »So etwas sagt eine Dame nicht.«
»Sonst was, du Prediger? Wäschst mir den Mund mit Seife aus?« Bettine knuffte ihm den Ellenbogen in die Seite. »Sag, was für Epen schreibst du da eigentlich fortwährend?«
»Das ist für Herrn von Schillers Plan.«
»Pläne werden leicht vereitelt, drum muss man keine machen. Wir haben es auf der Chaussee erlebt.« Sie griff flink nach dem Papier. Mit überraschender Heftigkeit wollte er sie daran hindern, das Geschriebene zu lesen, allein, sie konnte es eh nicht entziffern. »Du hast eine recht garstige Hand, mein Achim«, sagte sie, die Stirn in Runzeln, »eine wahre Katzenpfote hast du! Ist das Chaldäisch oder Hebräisch oder einfach nur scheußlich unleserlich?«
»Wenn du’s nicht lesen kannst, gib’s mir zurück.«
»Was steht darin?«
»Nichts.«
»Komm, sag es mir.«
»Nichts!«, sagte Arnim unwirsch, entriss ihr das Papier und faltete es auf seinem Schenkel.
Danach waren beide eine Weile still. Vor dem Deutschhaus fand offenbar eine Wachablösung statt, und die beiden hielten alles fest, wie ihnen aufgetragen war.
Schließlich hob Arnim wieder an. »Wie wird es wei tergehen, wenn wir zurück in Frankfurt sind?«
»Wie soll es weitergehen? Der Lenz wird kommen. Mehr weiß ich nicht.«
»Ich sprach von uns«, sagte Arnim. »Bist du mir noch gut, Bettine?«
»Warum fragst du?«
»Ich weiß es nicht.«
Bettine legte ihre Hand auf Arnims. »Freilich, Lieber. Ich bin dir gut, wie ich der Welt, wie ich allem gut bin, in dem sich Gott spiegelt. Du bist mir unendlich wert und einzig teuer.«
»Warum soll dann … von Hochzeit nicht die Rede sein?«
Sie schüttelte den Kopf. »Zu früh. Philister wollen wir erst werden, wenn alle Länder bereist und alle Abenteuer erlebt sind. Nicht vorher.«
»Dann strebst du, noch glücklicher zu werden?«
»Ich kann nicht glücklicher werden, als ich geboren bin. Lass mich noch eine Weile selbst ein Kind sein, be vor ich anderer Kinder Mutter werde. Und wir, mein Guter, wir kennen uns doch erst seit so kurzer Zeit. Wir müssen erst viel tanzen, um miteinander in Takt zu kommen.«
»Aber wenn du eines Tages beim Tanze einen anderen findest«, sagte er nach einer Pause, »so sag es nur; ich werd es sicherlich verstehen.«
Doch sie gab ihm keine Antwort. Sie musterte nur weiter die Soldaten vor dem Deutschhaus. Arnim scharr te mit der Spitze des Stiefels in der winterharten Erde.
»Ich hoffe, wir alle überstehen dieses Wagestück mit heiler Haut«, sagte er, ohne den Blick von seinen Stiefeln zu nehmen. »Insbesondere sorge ich mich um Goethe, der ein alter Mann geworden ist. Er sieht nicht mehr so edel aus wie sonst: Seine Haut ist fleckig, sein Hals aufgedunsen, sein Haar schütter. Er sollte sich auf seine alten Tage nicht mehr solch jugendlichen Strapazen unterziehen und stattdessen Ruhe und Würde des Alters genießen.«
»Obacht«, zischte sie plötzlich, und ehe er sich versah, hatte sie seinen Kopf mit beiden Händen genommen und drückte ihm einen Kuss auf die kalten Lippen. Der überrumpelte Arnim wusste zuerst nicht, was er tun sollte, dann legte er seine Arme um sie, zog sie weiter zu sich und erwiderte den Kuss.
Sein Atem ging schnell, und seine Wangen hatten sich gerötet, als sie sich von ihm löste. »Bettine –«, wollte er sagen, aber da sah er, dass
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