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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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schälten sich aus ihren Uniformen, und derweil Arnim im rechten Nebenschiff, in einem verborgenen Winkel hinter einem großen Pfeiler, mit Brettern und Decken eine Lagerstatt für die Damen improvisierte, suchte Schiller einen passenden Platz für die Nachtwache und fand ihn an einem Fenster im linken Nebenschiff, von dem aus man die Tür zur Gasse und den kleinen Hof vor der Kirche beobachten konnte. Humboldt und Kleist kehrten zeitig zurück, um mit den anderen ein einfaches Abendmahl zu sich zu nehmen und zu berichten, wie zu vorkommend man ihnen bei den Stallungen begegnet war.
    Schiller übernahm die erste Wache, die Armbrust zu seinen Füßen, in seinem Schoß sein Notizbüchlein, ein Griffel, die Briefe der Nationalgardisten und der Plan vom Deutschhaus, in dem sich die französische Präfektur einquartiert hatte. Im Licht einer Kerze sinnierte er, wie sie Louis-Charles de Bourbon habhaft werden sollten. Hin und wieder reizte ihn der Husten, und er bemühte sich, ihn zu unterdrücken, damit es nicht durch die Kir che hallte und den Schlaf der anderen störte.
    Zur halben Nacht löste ihn Humboldt ab. Kaum eine Stunde war vergangen, da hörte dieser seltsame Geräusche, die freilich nicht von außen kamen, sondern vom Schlafplatz der Männer. Als Humboldt nachsah, fand er Kleist zitternd auf dem Rücken liegend, Schweißperlen auf der krausen Stirn, die Decke in Unordnung. Die Kiefer hatte er so fest aufeinandergepresst, dass man die Zähne knirschen hörte, und bisweilen warf er sich heftig von einer Seite zur anderen, dass ein schmuckloser eiserner Ring, den er um sein linkes Handgelenk trug, auf dem Boden klirrte. Wiewohl der junge Preuße einen Schlaf hatte wie ein Murmeltier, so schien er aber zu träumen wie ein Jagdhund, und schließlich sprach er gar im Schlafe. »Ulrike, Ulrike«, sagte er leise.
    Humboldt legte kurzerhand seine Hand auf den Rü cken des Schlafenden. Die Berührung schien Kleist gutzutun. Bald zitterte er nicht mehr, seine Kiefer lösten sich, und mit einem hörbaren Seufzer entwich schließlich alle Seelenlast seinem Körper. Humboldt bedeckte ihn wieder vollends, blieb aber mit der Hand auf seinem Rücken bei ihm sitzen, bis sein Atem wieder ganz in ruhigen Zügen ging. Als Humboldt zwei Stunden später Kleist für die letzte Wache weckte, verlor er kein Wort darüber, fragte aber wohl, was es mit dem ehernen Ring um sein Handgelenk auf sich habe.
    »Das habe ich mir geschworen«, flüsterte Kleist: »Solang ein welscher Mann in Teutschland ist, trage ich am Arm einen Ring von Eisen.« Kleist streckte den Arm aus, eine Einladung an Humboldt, den eigentümlichen Armreif von Nahem zu betrachten. Dieser drehte den Ring bis zu seiner Naht. »Ich zerschlage ihn erst dann wieder, wenn auch Germanias Ketten zerschlagen sind.«
    Humboldt wollte etwas darauf erwidern, tat es dann aber doch nicht und wünschte Kleist nur eine gute Wache.
    »Gut Nacht, mein Freund«, erwidert Kleist. »Ruh dich ein wenig aus.«

    Im Morgengrauen verließ Kleist seinen Posten und die Kirche, aber Goethe konnte ihm für diese Pflichtverlet zung nicht gram sein, denn der preußische Leutnant nutz te die Zeit, um auf dem Markt bei der Domkirche zwei Flaschen Malvasier, Brot, Eier, frisch gestampfte Butter, Braunschweiger Wurst, Käse aus Limburg und pommersche Räuchergans zu kaufen, und mit diesen Speisen schlich er sich zurück in die Karmeliterkirche. Hatten sie wie die Bettler zu Abend gegessen, so konnten sie nun frühstücken wie die Kaiser. Humboldt machte ein Feuer, um Tee und die Eier zu kochen, und achtete darauf, dass kein Funken ans gelagerte Holz und die entweihte Kirche damit zum Scheiterhaufen geriet. Im Tageslicht, das durch die wenigen freien Fenster fiel, schaute das Maga zin kaum mehr beklemmend aus, und der Schlaf hatte den Reisenden gutgetan.
    Als der größte Hunger gestillt war und Goethe sich ein drittes Ei schälte, sagte er zu Schiller: »Nun, mein Freund, wie ich Ihren mitunter beunruhigenden Ar beitseifer, den weder Müdigkeit noch Krankheit schreckt, kenne, haben Sie in dieser Nacht einen Plan entworfen, wie wir den unglückseligen Dauphin erretten.«
    »Ganz recht. Der Plan ist fertig – schwer und kunstvoll wie keiner. Es ist nichts mit Gewalt – das Wagestück wäre mir zu gefährlich in einer Stadt voller Feinde. Nein, wir siegen in diesem Kampf durch List und kluggewandten Sinn.« Hierauf breitete Schiller vor ihnen den Riss des Deutschhauses aus. Seine Beflissenheit steckte die

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