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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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diese Karte bald kei ne Farben mehr. Dann hat Frankreich die Welt erobert.«
    »Nicht Frankreich erobert die Welt, Bürger, sondern die Republik «, berichtigte Saint-André. »Die Werte der Republik, die nur den Fürsten missfallen, die die Völker aber begrüßen. Nur deshalb eilt doch der Kaiser von Sieg zu Sieg: weil er gegen Soldaten antritt, die nicht an das glauben, wofür sie kämpfen.«
    »Frankreich ist keine Republik, sondern ein Kaiserreich.«
    »Wohl, aber das ist nur ein Name. Napoleon ist der Verwalter der Freiheit, der Vorsteher einer republikanischen Monarchie. Das Übel Frankreichs war es bislang, dass alle Welt herrschen und niemand gehorchen wollte. Unter Napoleon hat sich das geändert: Ihm gehorcht man gern. – Ich bin ein alter Freund Robespierres und muss mich nicht schämen, das zu sagen, und ich gab meine Stimme für die Enthauptung Louis Capets: Denken Sie denn, einer wie ich würde einem Despoten dienen? Und denken Sie, ein Despot würde einen wie mich zum Präfekten berufen?«
    Saint-André erhob sich und legte den Finger dort auf die Karte, wo Mecklenburg lag. »Und wenn wir erst die Elbe erreicht haben, sind das Westfränkische und das Ostfränkische Reich nach tausend Jahren Trennung wieder vereint. Napoleon tritt die Nachfolge von Charlemagne an – die Aachener haben ihn tatsächlich schon als Karolinger der Neuzeit gefeiert und ihm ein Armreliquiar Karls geschenkt –, Napoleon der Große , Herr über Frankreich und das Frankenreich und Vater eines freien Volks von Brüdern vom Atlantik bis zur Baltischen See. Wäre diese Réunion nicht fabelhaft?« Er zwinkerte Humboldt zu. »Vorausgesetzt, wir kämpfen auch weiter gegen Soldaten, die ihre eigenen Zwingherren hassen.« Hierauf kehrte der Präfekt zu den Schreiben zurück. »Wann wollen wir das Kindermädchen und den vermeintlichen Dauphin wieder vereinen?«
    »Lieutenant Bassompierre bittet um einen Termin morgen gegen sechs am Abend, wenn es Monsieur le Préfet beliebt.«
    » D’accord , ich bin sein Diener. In dieser Angelegenheit hat er die Kompetenz. Ich werde dafür sorgen, dass der Gefangene zeitig hierhergebracht wird.«
    »Mein Lieutenant bittet außerdem darum, dass so wenig andere Menschen wie möglich dabei sind, der Geheimhaltung wegen.«
    »Ich verstehe.«
    Humboldt sah aus dem Fenster auf den Rhein. Zwei Wagen, einige Reiter und zahlreiche Passanten überquerten die Schiffsbrücke. Unter ihnen entdeckte er auch seinen märkischen Landsmann Kleist, der sicheren Schritts über die Planken lief, auf dem Rückweg von Kastel. Jetzt blieb Kleist stehen und starrte in den Fluss. Was für eine ansehnliche Erscheinung der Leutnant doch war, wenn ihn nicht wie so oft Wut oder Angst heimsuchte. Humboldt war dankbar für Kleists Gesellschaft und nachträglich dafür, dass Schiller zwei Tage zuvor ein Wort für den jungen Brandenburger eingelegt hatte.
    »Das erscheint mir alles zu fabulös, um wahr zu sein«, knurrte der Präfekt plötzlich. »Was meinen denn Sie dazu? Ist dieser junge Mann tatsächlich der Sohn des Königs von Frankreich?«
    »Ich kann es mir beim besten Willen nicht vorstellen, Monsieur. Und besser für ihn, er wäre es nicht.«

    Wie wohl ihm nun war. Flussabwärts lagen ein Dutzend Schiffsmühlen vor Anker, zwischen den versunkenen Pfeilern der alten Römerbrücke, und er betrachtete ihre Schaufelräder, die sich unablässig drehten. Als er zum letzten Mal in Mainz gewesen war, vor einem Jahr zur gleichen Zeit, litt er am Nervenfieber, hütete fünf Monate abwechselnd das Bett oder das Zimmer und frohlockte nur noch bei der Aussicht auf ein prächtiges Grab. Die Vielzahl an französischen Soldaten in der deutschen Stadt war seinem Zustand ganz und gar abträglich gewesen. Doch damals war er nur ein braver Gast, wenn auch ein Gast im eigenen Land – jetzt aber war er in einem Trojanischen Pferd in die Festung eingedrungen und kurz davor, den Franzosen einen empfindlichen Schlag zu versetzen. Er stand am Geländer der Schiffsbrücke, die leicht unter ihm schwankte, und ließ sich den kalten Wind um die Nase blasen, und wie der Rhein so unter ihm durchrauschte, war es fast, als wäre er auf hoher See, unterwegs zu neuen Ufern. Eine Gruppe von Kürassieren ritt in Kleists Rücken vorbei, und einer von ihnen spuck te einen schwarzen Klumpen Tabak in den Grenzfluss.
    »Spuck du nur, Gallier«, sagte Kleist so leise, dass er es selbst kaum hörte. »Auch dich geben wir bald den Fischen preis. Mit euern Leichen

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