Das Erlkönig-Manöver
dem Effet, dass Joséphine in England, Napoleon aber in Frankreich herfürtritt, worauf beide zurück ans andere Ende laufen. Dies närrische Spiel wiederholt sich eine Weile, bis es das Publik um müde ist, und schlussendlich läuft der Kaiser kurzerhand übers Wasser, sein Liebchen zu her zen. Der Vorhang schließt mit den Klängen von »Veillons au Salut de l’Empire«.
Wiewohl Kleist von dieser Hanswurstiade amüsiert war und auch dulden konnte, dass der kleine Handpuppenkaiser England niederwarf, so war es ihm überaus unlieb, dass bei der abschließenden Hymne nicht nur die anwesenden Franzosen, sondern auch viele Mainzer mit einstimmten. Wie man dermaßen vor seinem Unterdrücker kriechen konnte, das war ihm gleichermaßen ein Gräuel, wie es ihm unerklärlich war. Als das schale Marionettenspiel aus war, floh er die Szene, aber plötzlich schienen die Zeichen der Mainzer Liebedienerei überall – in der Art, wie die Bürger ihre Besatzer freundlich grüßten, statt sie zum Teufel zu wünschen, in den zahlreichen Abbildungen des feisten Korsen, in der auch ästhetisch nichtswürdigen Inschrift »Gäb’s jetzt noch einen Götter-Sohn, so wär’s gewiss Napoleon« an einer Häuserwand – infol ge derer ihn eine regelrechte Übelkeit überkam, sodass er, als ihm ein Marktweib einen ausgenommenen Fisch feilbot, sich beinahe übergeben hätte. Er war erleichtert, als er die schwere Tür der Karmeliterkirche hinter sich schloss, als der Geruch der Eichenbalken ihn umgab und Humboldt, Arnim und Schiller bei ihm waren, Menschen, die dachten wie er – denn der unerträglichste von allen Gedanken war ihm gewesen, dass die Mainzer ihre Befreiung vom französischen Joch gar nicht wünschten .
»Noch mehr als die Franzosen hass ich die Halbfranzosen«, sagte er, »diese fahnenflüchtigen Verräter, die gleich dem Wetterhahne ihren Schnabel nach dem Wind drehen. Erst dienen sie dem Kurfürsten, dann Robespierre, dann wieder dem Kurfürsten, dann dem Näppel; heute dem Deutschen, morgen dem Franzmann; heute der Monarchie, morgen der Republik, und nie erhebt sich ein Protest.«
»Wem sollten sie denn Ihrer Meinung nach dienen?«, fragte Goethe.
Einen Augenblick dachte Kleist darüber nach, dann sagte er: »Der deutschen Republik.«
»Die gibt es nicht und wird es nicht geben.«
»Nicht mit Opportunisten wie diesen, so viel ist sicher.«
Ein jeder berichtete nun von seinen Beobachtungen. Humboldt schilderte den Präfekten als klugen, nicht unbedingt hassenswerten Menschen, der bei ihm den Eindruck hinterlassen hatte, das Leben seines Gefangenen retten zu wollen. Schiller fragte nach, ob der arme Präfekt wirklich auf den Namen »Schinken« getauft war, worauf Humboldt den Unterschied zwischen Jeanbon und Jambon erklärte.
Einzig Goethe hatte bei seiner Suche keinen Erfolg gehabt, denn Pulver gab es nur in der Garnison und im Zeughaus, und zu beiden wollte er den Zutritt nicht wagen. »Ich reite morgen aus der Stadt und hoffe, auf dem Lande fündig zu werden.«
»Weshalb? Wächst das Pulver dort auf den Feldern?«
»Nein, aber dort wird es gelagert. Herr von Humboldt, ich würde mich freuen, wenn Sie mich morgen begleiten würden, denn es geht abermals unter die Erde. Nein, Bettine, dies ist ein Kommando für Soldaten, deshalb bleibst du hier und überdenkst stattdessen, wie wir dich durch Kleider und unvorteilhafte Schminke einige Jahre älter machen können.«
Auf einen heimlichen Wink von Schiller hin sagte Goethe: »Auch Sie, Herr von Kleist, wären uns sicherlich eine große Unterstützung.«
»Und ich?«, fragte Arnim etwas sauertöpfisch, als die ses Kleeblatt gewachsen war, »soll ich denn mit Bettine Rouge kaufen?«
»Nicht doch; es sei denn, Sie wünschen es. Andernfalls begleiten Sie bitte Herrn Schiller beim Erwerb des Sarges für den vermeintlich erschossenen Dauphin.«
Den Rest des Abends gab es nichts mehr zu tun, und während ein starker Regen auf dem Dach der Kirche niederging, speisten die sechs mit Madame de Rambaud. Anschließend machte eine Weinflasche die Runde, und Schiller und Kleist entzündeten ihre Pfeifen, wiewohl Goethe einwandte, dass der Tabak dumm mache und mehr Leute unter die Erde bringe als alle Kriegereien. Bettine hatte, wenn es auch der Anweisung der Weimarer widersprach, nur das Nötigste mit auf die Reise zu nehmen, aus Frankfurt einige Spielkarten mitgebracht, und bald hatte sie sich mit Arnim und Humboldt auf die Regeln von L’Hombre geeinigt. So begann eine mehr
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