Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
Vom Netzwerk:
als heitere Partie, bei der die Gefährten die Wagnisse des folgenden Tages für einige Stunden vergessen konnten und die erst in der Nacht mit Humboldts Sieg endete.

    Nebel hing so dicht und unbewegt über dem Rheintal, dass man am nächsten Morgen kaum noch die Spitze des Kirchturms sehen konnte, ein Umstand, der den drei Ausreitenden nur willkommen sein konnte. Nachdem sie, wieder in den angeeigneten Uniformen der Nationalgar de, ihre Pferde von der Garnison abgeholt hatten, ritten sie durch das Münstertor aufs offene Land. Noch vor dem Flecken Gonsenheim lenkte Goethe sein Pferd auf ein brachliegendes Winterfeld, und die anderen folgten ihm. Es dauerte einige Minuten, bis sich Goethe in Dunst und Nebel orientiert hatte, doch schließlich fand er sein Ziel: einen Weidenbaum zwischen zwei Feldern, an dessen Fuß einiges Geröll angesammelt war; Steine, die die Bauern, nachdem sie sie aufgepflügt, beseitigt hatten. Sie waren allein auf dem Feld. Im Trüben konnte man, ein dunkler Schatten, die Wälle des Forts Bingen erahnen.
    Als Goethe abgestiegen war, sprang auch Kleist vom Pferde. »Spannen Sie den Hahn nicht so lange, Herr Geheimrat, drücken Sie ab! Weswegen haben Sie uns hierhergeführt?«
    »Bei den Wurzeln dieses Baumes sollten, wenn in dreizehn Jahren niemand dahintergekommen ist, einige Fässer Schießpulver verborgen sein. Legen Sie Ihren Blaurock ab, mein Sohn, wir graben danach. Und derweil will ich Ihnen berichten, wie ich von diesem Verstecke weiß.«
    Sie schlangen die Zügel der Pferde um einen Ast und entledigten sich ihrer Röcke. Dann entfernten sie das Geröll von seinem Platz. Die Steine waren mitunter so schwer, dass den Dreien der Schweiß auf der Stirn perlte.
    »Als wir im Mai 1793 diese Stadt belagerten«, hob Goethe an, »kämpften wir gegen eine der stärksten Festungen der Welt – wenn nicht gar die stärkste. Nicht nur die Mauern und Gräben und die zahlreichen Bastionen erschwerten uns den Angriff, sondern auch einige Kniffe, die die Mainzer in der Hinterhand hatten. Einer davon waren unterirdische Gänge, deren Zugang im Innern der nahen Forts lag. Gefüllt waren diese schmalen Gänge knapp unter dem Boden mit Fässern voll Schwarzpulver. Rannte die Infanterie nun Sturm auf ein Fort, setzte man dort Feuer an die Lunte, und bald explodierte unter den Angreifern, die selten wussten, was für ein sonderbarer und tödlicher Vulkan so unerwartet unter ihnen ausbrach, das Erdreich. Eine treffsichere Form des Bombardements, gesetzt, der Feind steht dort, wo man ihn haben will. Nur die wenigsten dieser Pulvergänge wurden auch wirklich gezündet, denn bald erkannten die Verteidiger, dass sie jedes Hütchen Pulver für ihre Musketen und Batterien bitter nötig hatten. Auch der Gang, auf dem wir jetzt stehen, blieb unbenutzt. Der Zugang dazu befindet sich, so nehme ich an, im Fort Bingen dort hinten, aber niemand hat ihn bislang entdeckt, und niemand, der davon weiß, lebt noch oder ist willens, sein Wissen zu teilen.
    Dieses Loch hier riss eine irregeleitete Kanonenkugel in den Sand. Bei einem Kontrollritt begleitete ich einen Rittmeister des Herzogs und einige seiner Männer, und wir wurden auf diesen Krater aufmerksam, der in den Gang darunter führte. Wiewohl wir die Fässer in der Dunkelheit schon erahnen konnten, reichte die Zeit nicht, den Stollen zu plündern, denn die Franken nahmen uns von den Zinnen unter Beschuss. Wir bedeckten also diesen Schacht notdürftig mit einigen Planken und Steinen – zu denen die Bauern in den Jahren offensichtlich noch andere hinzugelegt haben –, um ihn ein andermal zu leeren. Allein, der Rittmeister kam wenige Tage später bei einem Ausfall der Franken zu Tode, und ich vergaß in den Sorgen der kommenden Wochen diesen Sprenggang ganz und gar.«
    Sie hatten nun die alten Planken freigelegt, und nachdem sie auch diese entfernt hatten, kam tatsächlich der gesuchte Schacht zum Vorschein. Humboldt nahm ein Seil aus seinem Tornister.
    »Wird es gefährlich?«, fragte Kleist.
    »Nur, wenn Sie mit glimmender Pfeife dort hinuntersteigen.«
    Während Humboldt das Seil hielt, stieg Kleist durch die kleine Öffnung hinab. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, folgte er der zerfallenen Lunte auf dem Boden in den Stollen hinein. Selbst gebückt stieß er noch gegen das Erdreich über ihm. Nach einigen Schritten hatte er die Sprengladung erreicht: eine erkleckliche Ladung von einem halben Dutzend kleiner Fässer. Manche Fässer waren

Weitere Kostenlose Bücher