Das erstaunliche Abenteuer der Expedition Barsac
tägliches Wachstum gemessen. Dieser Salatkopf hier zum Beispiel hat seit gestern um vier Gramm neunhundertsiebenundzwanzig Milligramm zugenommen. Kurz, ich habe errechnet, ma-the-matisch errechnet, daß das tägliche Durchschnittswachstum zweiundzwanzig Milligramm pro Quadratzentimeter beträgt.«
»Sehr merkwürdig«, bemerkte Dr. Châtonnay mit unbewegter Miene.
»Nicht wahr? Solche naturwissenschaftlichen Fragen sind immer sehr interessant«, erklärte Monsieur Poncin, indem er sich in die Brust warf. »Der Nigerbogen umfaßt fünfhundertsechsundvierzig Trillionen Quadratzentimeter. Dementsprechend wird er also täglich zwölf Millionen zwölftausend Tonnen und jährlich eine Milliarde einhundertvierundvierzig Millionen dreihundertachtzigtausend Tonnen produzieren.«
»Ich kann nicht leugnen, daß die Rechnung mich erstaunt«, versetzte der Doktor in leicht deklamierendem Ton, einen Vers von Corneille parodierend, der ihm der Assonanz wegen einfiel.
»Wenn man nun weiß, welche Nahrungsmittelmenge benötigt wird, um das Leben eines einzigen Menschen zu garantieren, wird es leicht sein, daraus den Schluß zu ziehen, welche Bevölkerungsmenge im Nigerbogen existieren kann«, schloß Monsieur Poncin mit einem gewissen Nachdruck. »Das sind die Dienste, die die Naturwissenschaft zu leisten vermag, und daher wird auch die Zeit, in der man uns hier zwangsweise festhält, nicht völlig verloren sein.«
»Dank Ihnen, Monsieur Poncin«, erklärten gleichzeitig Amédée und der Doktor, die darauf den Statistiker wieder seinen gelehrten Deduktionen überließen.
Stunde für Stunde rannen der 10., dann der 11. April dahin.
Ein Zwischenfall, der im übrigen nicht weiter schwerwiegend war, unterbrach die Einförmigkeit dieses letzteren Tages. Gegen fünf Uhr am Nachmittag erhielt Camaret die Nachricht, die Pumpe, die das Wasser dem Reservoir zuführte, funktioniere nicht mehr.
Bei seiner Nachprüfung des Vorfalls stellte der Ingenieur fest, daß die Nachricht den Tatsachen entsprach. Die Pumpe war in rasender Bewegung, als drehe sie sich im Leeren, ohne daß sie den geringsten Widerstand zu überwinden habe. Auf seinen Befehl ging man an die Demontage des Kolbens, dessen Belag wahrscheinlich beschädigt war und nicht mehr genau in die Zylinderwände paßte. Alles in allem handelte es sich um eine unbedeutende Reparatur, die in weniger als achtundvierzig Stunden vorgenommen sein würde.
Noch bevor der Morgen des folgenden Tages graute, hatte die enervierende Wartezeit ihr Ende gefunden. Wie man sich vorstellen kann, fehlte niemand beim Rendezvous trotz der sehr frühen Stunde, die von Marcel Camaret festgesetzt worden war. Dieser hatte seinerseits sein Versprechen gehalten. Als die Gefangenen in den Garten kamen, in dem der Versuch stattfinden sollte, war der Apparat durch die Arbeiter, die ihn konstruiert hatten, bereits dorthin gebracht worden.
Der Ingenieur stieg auf die Plattform und setzte den Motor in Gang. Einige Minuten vergingen, viel zu langsam für das Empfinden der Zuschauer, die immer noch eine eventuelle Enttäuschung fürchteten. Der Apparat hob sich plötzlich mühelos in die Höhe, entfaltete dann seine Flügel, glitt auf den Luftschichten dahin und ließ sich dann wiederum genau an der Stelle nieder, von der er abgeflogen war. Diesmal mit zehn weiteren Mann an Bord, erhob sich Marcel Camaret von neuem und vollführte dreimal hintereinander einen Flug rings um den Garten. Das Experiment war völlig überzeugend.
»Heute abend um neun Uhr findet der erste Abflug statt«, verkündete er, als er von der Plattform heruntergestiegen war.
Da war dann alles vergessen, die Gefangenschaft, die Zeit der Sorgen und der Langeweile. In ein paar Stunden würde dieser Alptraum beendet und man würde in Freiheit sein. Alle Anwesenden beglückwünschten einander, während die Mechaniker den Aeroplan wieder in seine Remise zurückbrachten, die er bei Einbruch der Nacht erneut verlassen würde, um den Flug nach Timbuktu anzutreten.
Da die Evakuierung der Fabrikbelegschaft mehrere Tage in Anspruch nehmen würde, fand bei den laufenden Arbeiten keine Unterbrechung statt. Unter anderem wurde an diesem 12. April die Demontage der Pumpe vollendet. Als sie beendet war, stellte man einwandfrei fest, daß sie keinerlei Schäden im Innern aufwies. Die Ursache für ihr Versagen mußte also anderswo zu suchen sein. Im Augenblick konnte man sie nur wieder montieren, was auch auf der Stelle geschah.
Da um halb neun Uhr abends
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