Das erste der sieben Siegel
und rief Nexis auf – was er natürlich vor dem Anruf bei dem Bestattungsunternehmen hätte tun sollen. Wenn fünf Amerikaner auf hoher See umkamen, dann war das eine Nachricht wert.
Er tippte seine Kennnummer und das Passwort ein und klickte das Nachrichten-Icon an. Eine neue Seite erschien auf dem Bildschirm, und er füllte die Suchanfrage aus.
Es dauerte zirka zehn Sekunden, bis die Meldung erschien, dass siebenundzwanzig ›Hits‹ gefunden worden waren. Er ging die Liste durch. Der erste Hit war ein Artikel aus dem Boston Globe vom 16. September. Der letzte stammte aus der Albany Times Union vom 5. März. Er rief die erste Story auf; sie trug die Überschrift:
S TURM IM A TLANTIK FORDERT FÜNF M ENSCHENLEBEN
Nach Aussage des Kapitäns der Crystal Dragon war das Schiff auf einer Ost-West-Atlantiküberquerung gewesen und ein Besatzungsmitglied bei hohem Seegang über Bord gefallen. Vier weitere hatten mit einem Rettungsboot versucht, ihm zu Hilfe zu eilen, doch das Boot kenterte. Obwohl alle Männer Schwimmwesten trugen, ertranken sie. Da die Männer Schwimmwesten trugen und das Schiff mit einem Hubschrauber ausgestattet war, konnten die Leichname später geborgen werden.
Im letzten Absatz wurde erläutert, dass die Crystal Dragon ein Missionsschiff sei und dem ›Tempel des Lichts‹ gehöre, einer neuen Sekte, deren Zentrale in Lake Placid lag. Unter der Führung eines charismatischen Heilers namens Luc Solange unterhielt der ›Tempel‹ Wellness-Zentren in Big Sur und Cabo San Lucas. Angeblich waren die Verunglückten allesamt Mitglieder der Sekte gewesen, und es war geplant, eine kollektive Trauerfeier abzuhalten.
Franks Neugier war geweckt, doch Nexis war teuer, und eigentlich durfte er es gar nicht benutzen. Jedenfalls nicht während er zu Hause und beurlaubt war. Mit geübtem Auge überflog er die Artikel, so schnell er konnte, und speicherte sie auf seiner Festplatte. Dann meldete er sich ab und druckte sie aus.
Während der Drucker noch arbeitete, rief er das Krankenhaus St. Mary’s an. Die Krankenschwester teilte ihm mit, dass der Zustand seines Vaters nach wie vor kritisch sei.
»Kann ich mit ihm reden?«, fragte Frank.
»Nein!«, raunzte sie, »das können Sie nicht. Der Mann ist schwer krank. Er steht unter Beruhigungsmitteln. Er ist intubiert.«
»Verstehe.«
»Sie sagten, Sie sind mit ihm verwandt?«
»Ich bin sein Sohn. Würden Sie ihm sagen, dass ich angerufen habe?«
»Ihm sagen, dass Sie angerufen haben? Mehr nicht?« Ihr Tonfall sprach Bände, was sie von seiner Sohnesliebe hielt. »Ich soll ihm bloß sagen, dass sein Sohn angerufen hat?«
»Ja. Sagen Sie ihm, ich bin unterwegs.«
18
Madison, Wisconsin
Madison, ach, Madison im Frühling!
Unter einem strahlendblauen Himmel trottete Andrew den Bascom Hill hinauf, belebt von dem linden Lüftchen nach monatelangem Frost. Es war zwar noch nicht warm genug für kurze Hosen, aber der ganze Hang war übersät mit jungen Frauen, die auf dem Rücken lagen und sich in der Sonne rekelten, ihre weißen Beine blass im hellgrünen Gras.
Wie viele andere Studenten aus seinem Bekanntenkreis hatte Andrew einen Teilzeitjob, um seine Studiengebühren und das Lehrmaterial bezahlen zu können. Studenten taten fast alles, um Geld zu verdienen. Er kannte Kommilitoninnen – ehrgeizige Studentinnen –, die sich als Tänzerinnen in Oben-ohne-Bars was dazu verdienten, und andere, die auf Kindergeburtstagen als Clowns auftraten. Er kannte sogar einen Typen, der im Sommer mit einer fahrbaren Würstchenbude unterwegs war. Klasse!
Andrew arbeitete fünfzehn Stunden die Woche als studentische Hilfskraft. Wann immer möglich, versuchte die Univerwaltung, den Studenten Jobs zu geben, die mit ihren Interessen übereinstimmten (vorausgesetzt, diese Interessen ließen sich irgendwie feststellen, was nicht immer der Fall war). Im Allgemeinen jedoch arbeiteten beispielsweise Studenten der Bibliothekswissenschaft im Magazin. Studenten der Theaterwissenschaft verkauften Eintrittskarten an der Kasse der Studentengewerkschaft. Und Studenten der Agrarwissenschaft arbeiteten in der legendären Eisdiele der Uni.
Andrew hatte als Maschinenbaustudent einen Job im Dampfheizwerk bekommen, wo er chemische Zusätze in die Kesselspeisepumpe füllte und technische Zeichnungen anfertigte, um den Verlauf der Rohrstränge zu verbessern oder den Austausch veralteter Teile in der Anlage selbst zu erleichtern. Wie für viele andere große Institutionen, darunter
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