Das Erste Horn: Das Geheimnis von Askir 1 (German Edition)
Sechsergruppe. Die Dreiergruppe jedoch schaute in unsere Richtung, nachdenkliche Blicke, überlegende Blicke.
»Wir sind hier doch nicht dabei, ernsthaft zu überlegen, ob wir sie im Schlaf ermorden wollen? Bisher haben sie nichts getan. Außer etwas zu laut zu fluchen, die Bedienung anzugrabschen und zu viel zu trinken. Kein Grund, sie aufzuhängen.«
»Ihr wisst so gut wie ich, dass sie nicht alle Söldner sind oder dass sie zumindest so wenig Skrupel haben, dass es keinen Unterschied macht«, entgegnete sie mir.
»Seid Ihr zum Ritter geschlagen, Sera?«
»Ja, natürlich.«
»Natürlich. Ihr wisst, dass manchem diese Ehre nicht widerfährt. Nun, dann könnt Ihr in Illian einen Leibeigenen erschlagen, wie es Euch beliebt. Und Euch seine Tochter greifen … in Eurem Fall vielleicht den Sohn. Und sie aufhängen. In Illian. Aber wir sind hier, falls es Euch entgangen ist, in Letasan. Hier besitzt Ihr dieses Recht nicht.« Ich zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wird man es tolerieren, vielleicht erklärt Euch der Graf aber auch selbst zum Briganten.«
»Ich glaube, er wird mir zustimmen«, sagte sie. Und sie hatte damit wahrscheinlich Recht. Man musste sie nur ansehen, dann glaubte man ihr augenblicklich.
»Es wäre die einfachste Lösung«, beharrte sie.
»Gut. Nehmen wir an, Ihr wüsstet, wie man an der Tür oder den Fensterläden vorbeikommt. Vielleicht verwandelt Ihr Euch in Rauch und fahrt durch die Esse nieder. Aber könntet Ihr es tun? Ihnen die Hälse der Reihe nach durchschneiden?«
»Wenn ich muss.«
Ich nahm ihre Hand in meine. Kurz widerstand sie, dann ließ sie sie mich halten. Sie war schlank, aber kräftig, ich sah die feinen Narben darauf. Als sie Steinherz zur Ruhe gebettet hatte, hatte sie nicht gezögert, ihm seinen Blutzoll zu geben. Auf meinem Handrücken sah ich die Altersflecken, die Falten, die hervorgetretenen Adern: die Hände eines alten Mannes. Ihre Hand dagegen war jung und glatt, trotz all der Narben. Und um ein gutes Drittel kleiner. Ich bildete es mir wahrscheinlich nur ein, aber ich vermutete, dass ich mit einem Griff ihre Knochen brechen konnte.
»Sera«, sagte ich ernsthaft. »Es ist noch nichts passiert.«
»Der Junge ist tot.«
Damit hatte sie Recht. Irgendwie hatte ich das vergessen. Es erschien mir unwirklich, wer glaubte schon an Werwölfe?
»Damit kommen wir zu einem Problem, das wichtiger ist als unsere Briganten.«
»Gestern noch habt Ihr sie für gefährlich genug gehalten.«
»Und heute Morgen fanden wir das, was ein Werwolf von seinem Mahl übrig gelassen hat.«
»Ich glaube noch immer nicht an Werwölfe.«
»Die Milch der Kuh, die am nächsten an der Leiche stand, ist in ihrem Euter sauer geworden«, berichtete ich ihr leise.
Sie wurde bleich. »Das auch?«
Ich nickte. »Es gibt viele Legenden, an denen etwas Wahres ist. Vielleicht sind Werwölfe sehr selten, aber ich kann es nicht mehr ausschließen. Selbst wenn es keiner ist, dann ist es ein Tier, das seine Opfer entkleidet und sich in einem eingeschneiten Gasthof unentdeckt verborgen hält. Und das bei der Größe eines kleinen Bären.« Ich hielt ihre Hand noch immer fest. »Wenn die Legenden stimmen, dann können Werwölfe nicht durch herkömmliche Waffen getötet werden. Es gibt somit in diesem Gasthof nur eine Klinge, die dem Werwolf schaden kann. Steinherz. Alle anderen werden ihn nicht verwunden.«
»Ich habe auch schon daran gedacht.«
»Ich mache es Euch noch deutlicher. Wenn nun der Werwolf offen durch diese Tür hier träte, bräuchte er nur Euch zu besiegen, um sich dann genüsslich und in aller Ruhe die anderen einzuverleiben. Ihr seid die Einzige, die ihm gefährlich werden kann. Und er weiß es, der Mensch in ihm weiß es. Denn Ihr habt Steinherz laut genug vorgestellt. Ein Dolch in Euren Rücken von einem, den Ihr für unverdächtig haltet, und er kann tun und lassen, was er will.«
»Die Kettenglieder meiner Rüstung sind zu fein für einen Dolch.«
»Dann nimmt er eine Zimmermannsahle. Oder schneidet Eure Kehle durch. Achtet auf Euren Rücken.«
»Werdet Ihr das nicht tun?«
»Doch. Wenn Ihr bei mir seid. Geht nicht allein irgendwohin.«
»Die Absicht habe ich nicht.«
Das Gelächter am Tisch der Briganten lenkte unsere Aufmerksamkeit wieder auf sie. Einer von ihnen hatte Sieglinde ergriffen und küsste sie. Sie strampelte, befreite sich, funkelte den Mann an, wischte sich den Kuss von den Lippen und ging davon, ihn mit Missachtung strafend, aber mit einem gewissen Schwung
Weitere Kostenlose Bücher