Das erste Schwert
Nachmittagshitze verwandelte die
Luft in ein erstickendes, feucht-heißes Gebrodel; winzigste Tröpfchen setzten sich in ihren Haaren ab und |174| machten ihre Mäntel nass und schwer wie nach einem Regen. Ellahs Kleid trocknete kein bisschen, und dass sie nicht fror, war
allein den wogenden warmen Nebeldämpfen zu danken. Sie bot von Kopf bis Fuß einen kläglichen Anblick, aber Skip wusste, dass
Erle und er kaum besser aussahen. Nur Kara machte noch einen halbwegs ordentlichen Eindruck; so ruhig wie eh und je ging sie
vor ihnen und führte ihre graue Stute am Zügel.
Erneut veränderte sich ihre Umgebung. Mehr und mehr säumten ineinander verfilzte Schlangenholz-Bäume den Pfad – fremdartige
Gewächse, die Skip nur aus Garnalds Erzählungen kannte. Der Volksmund nannte sie
Bäume
, aber in Wirklichkeit fiel es schwer, zu sagen, ob sie Bäume, Büsche oder Schlingpflanzen waren. Kolossale, ledrige, wie
aus gebündelten und ineinander verdrehten Schlangenleibern geflochtene Stämme ragten mehr als zwölf Fuß hoch empor und reckten
nach allen Seiten unzählige, in Kaskaden herabbaumelnde Äste.
Am allerschlimmsten aber waren die Spinnen. Ihre silbrigen Netze schimmerten wie Lichtgespinste im Nebel – und klebten den
Gefährten an Kleidern und Körpern. Jedesmal, wenn Skip in eine dieser hauchzarten Fallen hineinlief, sah er ihre zornige Besitzerin
schwarz, orange und rasend schnell auf sich zukrabbeln – und erst in letzte Sekunde wieder verschwinden. Es juckte ihn am
ganzen Leib. Er wusste nur zu gut, dass die Spinnen mit den strahlendsten Körperfarben für gewöhnlich die giftigsten waren.
Wie viele solcher Biester es brauchte, um einen Menschen zu töten – darüber wollte er lieber nicht nachdenken.
Ein Problem ganz anderer Art stellten die Schnecken dar. Skip machten sie nicht viel aus. Er fand sie sogar hübsch, mit ihren
dicken gelben Leibern, die in der Düsternis der Schlangenholz-Bäume ein geheimnisvoll schimmerndes Licht absonderten. Ellah
jedoch schien ihr Anblick Verdruss zu bereiten |175| . Ein ums andere Mal reagierte sie panisch und drehte sich nach Luft schnappend weg. Skip wollte sich nach diesem kräftezehrenden
Tag nur noch ausruhen. Doch daran war nicht zu denken, solange sie nicht aus dem Pfuhl herausgefunden hatten.
Skip war so müde, dass er auch dann nicht die Kraft fand, den Kopf zu heben, als Ellah direkt vor ihm plötzlich anhielt. Er
blieb einfach nur hinter ihr stehen und wartete.
Wahrscheinlich überprüft Kara etwas,
dachte er.
»Was meinst du damit –
zu Ende
?«, hörte er Ellah ausrufen.
»Ich meine damit, dass es keinen Weg mehr gibt«, sagte Kara. »Dass er
genau hier
zu Ende ist.«
Skip glaubte, aus großer Höhe in die Tiefe zu stürzen. In seinen Ohren brauste es. In seinem Kopf – nur bleierne Leere.
Kara hatte mit ihrem Pferd vor einer undurchdringlichen Barriere angehalten: gleich drei, vier Schlangenholz-Bäume überwucherten
das, was bislang ein – wenn auch kaum erkennbarer – Weg gewesen war. Nun gab es nicht einmal mehr das; es gab nur noch dieses
wuchernde, alles umschlingende Baumgestrüpp und den in Hitzedampf brütenden Pfuhl.
Zu ihrer Linken jedoch lud ein kleiner Weiher mit klarem Wasser und kaum verschlammtem Grund zum Verweilen ein.
»Dann müssen wir eben umkehren.« Ellahs Stimme klang zittrig.
»Es wird dunkel«, sagte Kara. »Wir sollten ein Lager aufschlagen.«
»Was? Lagern?«, schnaubte Skip und schlug nach einer direkt vor seiner Nase pendelnden Spinne.
»Hier?«, fügte Erle hinzu, und dieses eine Wort und
wie
er es aussprach, drückten namenloses Grauen aus.
»Diese Stelle ist nicht schlimmer als alle anderen, die wir |176| heute mittag passiert haben«, erwiderte Kara sachlich. »Außerdem werd’ ich das Gefühl nicht los, dass wir so oder so nicht
allzu weit kommen würden. Und hier haben wir diesen Teich und sauberes Wasser. Könnte sich als nützlich erweisen.«
»Durchschaust du das denn nicht?«, sagte Ellah heiser krächzend. »Der Pfuhl
wollte
uns genau hier haben. Jemand wollte, dass wir an dieser und keiner anderen Stelle Halt machen. Das Wasser hier ist kein Zufall.
Ich wette, es ist giftig!«
Kara ignorierte sie. Sie löste Gurtschnallen und nahm der Stute den Sattel sowie ihrer aller Reisegepäck ab. Dann nahm sie
aus ihrem Rucksack ein Seil – allem Anschein nach dasselbe, das sie im Kampf gegen den Gorg’tal eingesetzt hatte – und leinte
das Tier am tiefhängenden
Weitere Kostenlose Bücher