Das erste Schwert
war besser, als
das Unmögliche zu glauben. Genau wie es in den unheimlichsten Geschichten über den Pfuhl erzählt wurde, hatte dieser Weg hier
seinen Verlauf geändert. Sie waren im Pfuhl gefangen.
»Ich habs euch gesagt!«, flüsterte Ellah. »Die Wege hier leben und wandeln sich, ganz wie’s ihnen beliebt. Oder wie es die
Waldfrau ihnen befiehlt. Hätten wir nur auf Großmutter gehört und nie auch nur einen Fuß in die Nähe dieses Ortes gesetzt.«
»Die Waldfrau«, wiederholte Kara und seufzte.
»Schau«, mischte Skip sich mit sanfter Stimme ein. »Wir behaupten nicht, dass diese Geschichten wahr sein müssen, aber wie
erklärst du dir sonst, was mit dem Pfad hier passiert ist?«
»Ich kann’s nicht erklären«, gab Kara zu, und wie sie ihn musterte, erhellte ein seltsames Licht ihre Augen. »Schlimmer noch,
ich weiß nicht mal, was nun zu tun ist – außer weiter dem Pfad zu folgen.«
»Welchem?«, fragte Ellah. »Dem vor uns oder dem hinter uns? Beide sehen aus, als kämen sie aus dem Nichts.«
Kara schüttelte ungeduldig den Kopf. »Es sind
Wege
. Irgend jemand muss sie angelegt haben.«
»Oder irgend etwas.«
Skip blickte von Ellah zu Kara. »In den alten Legenden |172| heißt es, die Bäume und das Gras bewegen sich einfach von hier nach dort und lassen nichts als zerwühltes Erdreich zurück.
Keine Stiefelsohlen haben diese Wege hier geschaffen, sondern allein der Wille des Pfuhls.«
Kara starrte ihn an, als habe er sich erneut auf die Stiefel gespuckt. »Ich verstehe«, murmelte sie beherrscht. »Die Bäume
und das Gras.«
»Vielleicht sollten wir in Bewegung bleiben«, schlug Erle vor. »Sonst stehen wir noch hier und reden, bis es dunkel wird.
Ich sage, wir nehmen den Pfad, der vorwärts führt. Gut möglich, dass er irgendwo wieder in die richtige Richtung abbiegt und
doch noch zum Außenposten führt.«
»
Ich
werd’
niemals
meinen Fuß auf dieses ...
Ding
setzen!«, erklärte Ellah entschieden. »Lieber geh’ ich wie die Priester geradewegs durch den Pfuhl. Dort muss der
richtige
Weg gewesen sein!« Und damit drehte sie sich um und stapfte entschlossen los, durch dichtes Riedgras und dunkle Pfützen, die
sich über die Spuren der Priester gelegt hatten. Fünf Schritte weit kam sie, dann – ein Wanken, und sie sackte nach unten
weg und versank vor ihren Augen im Sumpf.
Kara handelte mit übermenschlicher Schnelligkeit. Sie warf sich nach vorn, landete der Länge nach ausgestreckt bäuchlings
im Gras und stieß die Hand in den vor ihr liegenden, grasumwucherten Tümpel. Fauliges Wasser brodelte und spritzte, dann,
plötzlich, hörte Skip einen erstickten Schrei – und Karas befehlende Stimme: »Halt dich einfach an meiner Hand fest. Ich zieh’
dich ’raus.«
Erst jetzt kamen Skip und Erle zur Besinnung. Sie warfen sich neben Kara ins Gras und streckten die Hände nach vorn. Endlich
erschien Ellahs Gesicht; wie das viel zu kleine Spiegelbild eines bleichen Mondes schwebte es auf der düsteren Oberfläche.
Ihr ganzer Körper jedoch befand sich im Wasser. Auch Karas Arme verschwanden bis fast zu den Schultern darin. |173| Aber sie hielt Ellah gepackt und zerrte sie langsam und stetig heraus. »Tut euch nur keinen Zwang an!«, zischte sie ihnen
aus dem Mundwinkel zu.
Zu dritt schließlich zogen sie Ellah ohne Schwierigkeiten heraus. Das Mädchen war voller Schlamm und bis auf die Knochen durchnässt.
Sie zitterte, ihre Augen starrten groß und rund, ohne wirklich etwas zu sehen; so sah ein zu Tode erschrecktes Kaninchen aus.
»Da war ... kein ... kein Boden«, sagte sie zähneklappernd. »Gerade noch hatte ich Gras unter den Füßen ... und – und – schon beim nächsten Schritt war da
nichts
mehr!« Sie senkte den Blick und starrte auf einen dunkel-schillernden Fleck, der sich über ihr Handgelenk schlängelte. Mit
einem Aufschrei riss sie das Ding weg und schleuderte es beiseite. Es krümmte und ringelte sich und glitt in das schwarze
Wasser zurück.
»Kein Grund, zu schreien«, beruhigte Kara sie. »Das war nur ein Blutegel.«
»Ein
Pfuhlsauger
!«, schnappte Ellah. »Diese Dinger können dir die Seele rauben, weißt du das?«
Natürlich war auch das nur eine der vielen Geschichten, die von den Waldern seit Jahrhunderten raunend weitergegeben wurden.
Aber dieses Mal spottete nicht einmal Kara darüber.
Der Nachtwald
Meile um Meile führte der Weg unablässig nach Westen und tiefer hinein in den Pfuhl. Die
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