Das erste Schwert
Lebensgeister regten sich wieder. Sie würden ein Feuer haben, und das bedeutete Wärme und vielleicht
sogar heißen Tee.
Noch heute Morgen wäre es für ihn unvorstellbar gewesen, in einem behelfsmäßigen Lager inmitten des Dunklen Pfuhls zu kampieren.
Aber jetzt war er so erschöpft, dass er sich geradezu schmerzlich danach sehnte, einfach nur liegen und schlafen zu können;
und nie schien eine Mahlzeit köstlicher |179| geschmeckt zu haben als diese, bestehend aus Brot, Käse und Dörrfleisch. Auch das Wasser des Weihers schmeckte gut genug,
sobald es nur mit genügend von Karas Teeblättern aufgekocht worden war. Sie schmeckten fremdartig, süß und bitter gleichermaßen,
und sehr intensiv, obgleich sie fast farblos waren. Wie flüssige Feuersglut durchzog dieses Getränk ihre Adern und erfüllte
sie mit neuer Kraft; ihre Glieder wurden wohltuend schwer und Verkrampfungen lösten sich. Skip wollte sie fragen, was für
ein herrlicher Tee dies sei, doch er hatte nicht mehr die Kraft dazu. Jedesmal, wenn er zu sprechen ansetzte, verzogen sich
nur seine Lippen und nichts als ein Gähnen wurde daraus.
»Wir müssen Wache halten«, sagte Kara. »Ich übernehme die erste. Dann wecke ich einen von euch, und er löst mich ab.«
Das Dunkel um sie her war übervoll mit wispernden, plätschernden, tröpfelnden Geräuschen. Die ledrigen Äste eines Schlangenholzbaumes
hingen aus dem Dunkel herab und bewegten sich, als streichelten sie die Luft – viel zu nahe, für Skips Geschmack. Im flackernden
Lichtschein des Feuers kamen sie ihm wie lebendig vor. Wache zu halten, schien ihm eine sehr gute Idee zu sein.
»Ich kann die zweite übernehmen«, bot Skip an. Er war wirklich müde, aber es ärgerte ihn, dass er um so Vieles schwächer war
als dieses Mädchen. Trotzdem brachte er es nicht über sich, ihr anzubieten, die erste Wache zu halten.
»Wir werden sehen«, sagte Kara. »Versuch einfach, dich ein wenig zu erholen.«
Skip schlief ein, sobald sein Kopf den Stoff des Mantels berührte.
In den Träumen dieser Nacht hetzten ihn die Priester durch den Pfuhl. Hinter ihnen sah er die stacheligen Helme der Ritter.
Mitten unter ihnen glaubte er einen oder zwei Gorg’tals zu sehen, ungeschlacht und furchteinflößend trotz |180| ihres krummbeinigen Gewatschels. Das alles kümmerte ihn aber nicht wirklich, denn irgendwie wusste er, dass er nur träumte.
Er stürzte durch brodelnde, lebende Schwärze, und als er sich aufrappelte, stand ihm der Priester gegenüber – der Kahlköpfige
mit der Narbe.
Der Mann hob ein Schwert und schlug zu. Der blitzende Streich zauberte eine klaffende, blutspritzende Wunde in Skips Hals.
Er lag auf dem Rücken; seine Muskeln gehorchten ihm bereits nicht mehr, vielleicht war er schon tot. Er lag da und wartete
auf das Ende –
»Skip!«, wisperte eine Stimme in seinem Ohr. »Wach auf.«
Er öffnete die Augen und sah Karas dunkles Gesicht direkt über seinem, ihre violetten Augen füllten sein ganzes Blickfeld.
Sie roch nach Blumen und Weite und Sonnenschein, und in seinem Kopf drehte sich alles.
Sie zog sich zurück und beobachtete, wie er sich ungeschickt in eine sitzende Stellung hochmühte und in die Runde spähte.
Das Feuer war in sich zusammengefallen, aber noch brannte es und verstrahlte Wärme und schwache Helligkeit. Die beiden reglosen
Gebilde auf der anderen Seite der Flämmchen mussten Erle und Ellah sein. Der Rest der Umgebung lag unter tintenschwarzen,
wattigen Massen begraben.
Skip zerrte seinen Mantel um sich und reckte die Füße zum Feuer hin. »Ich bin bereit«, knurrte er entschlossen. »Du kannst
jetzt schlafen. Wenn ich spüre, dass ich nicht mehr länger wachbleiben kann, wecke ich Erle.«
Sie regte sich nicht, sie beobachtete ihn noch immer – aufmerksam. Erst jetzt fiel ihm ein, dass sie ihn beim Namen genannt
hatte. Das und wie sie ihn ansah, trieb ihm rotglühende Hitze durch den ganzen Leib und in die Wangen. Er war froh, dass es
dunkel war.
»Hast du diese Alpträume oft?«, fragte sie sanft.
|181| »Jede Nacht«, antwortete er wie von selbst. Dann sickerte die Frage in seinen Verstand ein und schlagartig war er hellwach.
»Warum? Und wie kommst du darauf?«
Sie entgegnete nichts. Sie streckte sich nur auf ihrem Schlafplatz aus, zog eine Decke über sich und lag still. Skip vermochte
nicht zu sagen, ob sie schon schlief.
Er kam sich wie der einsamste Mensch auf der Welt vor. Hier im Herzen des Pfuhls im
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