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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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Unantastbares. Vielleicht im Sinne von Autorität, Respekt, Angst.«
    »Das klingt logisch. Henry hat deshalb seine Orientierung verloren, weil ihm die Ordnung abhanden gekommen ist.«
    »Genau.«» Ludevik stand auf und suchte nach einem Buch. Er schlug eine bestimmte Seite auf. »Hier steht es. Unsichere Menschen bauen um sich herum ein Ordnungsgitter, welches ihnen Halt verleiht. Und weil ihre Ordnung sich mehr und mehr in Form dieses Gitters ausbreitet, gewinnen sie auch mehr und mehr an Sicherheit. Das kann sogar dazu führen, dass in der perfekten, selbst gestrickten Version der Unsichere durch übertriebene Ordnung den Eindruck einer willens- und handlungs- und durchsetzungsstarken Persönlichkeit vermittelt.«
    Carmen saß nachdenklich im Sessel und hatte ihr Kinn auf eine Hand gestützt. »Henry spielt eine Rolle, aus unserer Sicht zumindest und glaubt, es sei Wirklichkeit. Nun ist er in Urlaub. Wissen Sie, wo er ist?«
    »Nein.«
    Einer Eingebung folgend fragte sie: »Wissen Sie, ob er überhaupt in Urlaub ist?«
    »Was hat er für einen Grund, mich …« Ludevik vollendete den Satz nicht und schaute die Ärztin an. »Sie meinen …«
    »… wir fahren zu seinem Haus und sehen nach.«
    »Sie denken, Henry ist …«
    »… ist in seinem Kopf verreist, wie in seinen Träumen. Er braucht nicht die Wirklichkeit.«
    Es begann bereits zu dämmern, als sie vor dem großen Tor standen. Ludevik wollte klingeln, aber Carmen hielt ihn davon ab.
    »Helfen Sie mir«, sagte sie und stellte sich ans Tor. Ludevik verschränkte die Hände, Carmen stellte einen Fuß hinein und schwang sich auf den gemauerten Pfosten und sprang von dort hinunter auf den Weg. Ludevik folgte ihr.
    Langsam schritten sie auf das Haus zu. Die Fensterläden waren nicht verschlossen, um den Eindruck zu erwecken, es sei jemand zugegen. Ludevik wusste, dass über ein System von Schaltuhren nachts abwechselnd die Lichter im Haus ein- und ausgeschaltet wurden. So wie bei ihm, wenn er verreiste.
    Großräumig umrundeten sie das Haus und gingen zum Schwimmbad mit der Gästewohnung. Durch die Scheiben schauten sie hinein, entdecken jedoch nichts, was sie stutzig werden ließ.
    Nebeneinander spazierten sie auf der Höhe mit dem wunderbaren Blick ins Tal in Richtung Haupthaus. Ein Rundgang zeigte ihnen, alle Fensterscheiben und Türen waren unversehrt. Niemand hatte versucht, einzubrechen.
    »Riechen Sie es auch?«, fragte Carmen.
    Ludevik schnupperte. »Nein. Wonach soll es riechen?«
    Carmen wusste es nicht genau. »Irgendwie nach Moder oder so. Nach … hat der Gärtner den Garten und die Pflanzen gedüngt?«
    Dafür sahen sie kein Anzeichen.
    Sie schritten zur Garage, das Tor war verschlossen. Ludevik probierte es an der kleinen Tür daneben. Zu seinem Erstaunen ließ sie sich öffnen. Und noch erstaunter war er, als er Henrys Auto entdeckte.
    »Wollte er mit dem Auto fahren oder fliegen?«
    »Ich weiß es nicht. Aber wie auch immer, um zum Flugplatz zu kommen, musste er doch sein Auto benutzen.«
    Sie kamen nicht dazu, noch länger zu spekulieren, da sie in der Ecke ein Geräusch vernahmen. Sie zuckten zusammen und sahen einen Schatten auf sich zukommen. Der Schatten miepte und winselte und schlich um ihre Beine und schnupperte. Ein zweiter Schatten folgte. Die beiden Labradorhunde.
    »Sagen Sie nur, er hat die Hunde zu Hause gelassen.«
    »Zumindest können sie ins Freie«, meinte Carmen und deutete auf eine Klappe in der Wand. »Und hier geht es für sie ins Haus.« Sie deutete auf eine zweite Klappe.
    Als hätten sie sich abgesprochen, gingen sie auf die zweite Klappe zu. Nun roch Ludevik es auch. »Das stinkt ja richtig.«
    Er bückte sich, drückte die Klappe auf und zwängte sich hindurch.
    »Kommen Sie, hier geht es ins Haus.«
    Wenig später, Carmen stand neben Ludevik, der Licht gemacht hatte, beschlich sie das Gefühl, sie müsse sich übergeben. Ein bestialischer Geruch erfüllte das Haus. Eine Wand aus ekelhaftem Gestank.
    Sie traten in die Diele. Sofort fiel ihnen die Unordnung auf. Die Kleidungsstücke der Garderobe lagen auf dem Boden. Im Wohnzimmer war es noch schlimmer. Überall waren Gegenstände verstreut, Essenreste lagen herum, einige schon älter und von Maden bevölkert, andere in den Teppich getreten, wo sie zu Verfärbungen geführt hatten.
    Als Ludevik das Licht anmachte, sahen sie erst das ganze Ausmaß. Zum Wohnzimmer, so wie Carmen es kannte, bestand absolut keine Ähnlichkeit mehr. Sessel waren umgekippt, der Teppich über

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