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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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beobachtete Henry und erkannte, dass ihm sehr viel daran gelegen war, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Henry hatte die Brücke, die Ludevik ihm gebaut hatte, sofort betreten.
    »Und was schlägst du vor?«
    »Hypnose.«
    »Habe ich mir gedacht.« Henry nickte bestätigend. »Habe ich mir gedacht.«
    »Bist du schon mal hypnotisiert worden?« »Nein.«
    »Es tut nicht weh.« Ludevik lachte. »Aber Hypnose funktioniert auch nicht bei jedem. Wollen wir es versuchen?«
    »Muss ich mich hinlegen?« Henry deutete auf ein Sofa.
    »Ja, dann kannst du am besten entspannen.«
    Als Henry sich hingelegt hatte, war Ludevik nicht überzeugt, ob er wegen Henrys Charakterstruktur zum Ziel kommen würde. Henry musste seine Blockaden abbauen, damit er ihn beeinflussen konnte.
    Bei den ersten Atemübungen merkte Ludevik, wie sich Henry entspannte und die Augen schloss. Er atmete ruhiger, die Augen hetzten nach wenigen Sekunden nicht mehr unter den Lidern hin und her, am Hals konnte er erkennen, dass sich auch Henrys Puls verlangsamte.
    »Was siehst du?«
    »Ich sehe mich«, antwortete Henry. »Ich bin zwölf Jahre alt. Hoch aufgeschossen und schlank und schön und sauber angezogen. Ich bin allein zu Hause. Allein mit unserem Kindermädchen. Meine Eltern sind übers Wochenende eingeladen. Sie putzt mich immer so heraus. Ich meine Walli, das Mädchen. Sie hat einen Tick für schöne Kleider und fürs Schminken. Unentwegt ist sie damit beschäftigt, wenn meine Eltern nicht da sind oder es nicht sehen können. Aber ich kann es sehen, denn ich bin immer bei ihr, wenn Walli sich schön macht.«
    Das Kindermädchen und dessen Marotten interessierten Ludevik nicht. »Was tust du im Augenblick?«
    »Ich spiele mit einem Hund. Walli liegt auf einer Decke und schaut mir zu. Sie hat eine große Sonnenbrille auf.«
    »Erzähle mir, wie du spielst.«
    »Ich dressiere ihn. Er soll bei meinen Kommandos ruhig sitzen oder sich hinlegen. Und er soll was holen. Aber der Hund folgt mir nicht.«
    »Und was machst du mit ihm?«
    »Ich bestrafe ihn. Er bekommt Schläge. Hunde haben zu folgen, wenn man ihnen etwas sagt.«
    »Was empfindest du, wenn du ihn schlägst?«
    »Es tut mir selbst weh, aber er hat zu folgen. Tiere sind dem Menschen Untertan. Papa sagt auch immer, er hat zu folgen.« »Auch zu dir? Sagt dein Papa das auch zu dir?«
    »Ja, er sagt das auch zu mir. Mami auch. Ich habe zu folgen. Und damit ich lerne, wie man folgt, haben sie mir den Hund geschenkt. Ich soll mit ihm üben, er soll mir folgen. Aber ich schlage ihn nicht gerne. Papa sagt aber, du musst ihn schlagen, damit er weiß, was er zu tun hat. Und wenn er gut war, dann lobst du ihn. Macht er etwas falsch, dann schlägst du ihn. Ist alles ganz einfach. Hunde verstehen das.«
    »Macht dein Papa das mit dir genauso? Er lobt dich und er schlägt dich?«
    »Ja. Kinder, also Menschen und Hunde sind da gleich, meint er.«
    »Hast du deinen Hund gerne?«
    »Ja, sehr gerne. Er ist ja noch so jung. Und er hat so treue Augen.«
    »Welche Rasse ist es?«
    »Ein Berner Sennenhund. Richtig große Tatzen hat er. Braunweiße, große Tatzen.«
    »Und wie schaut dich der Hund an, wenn du ihn geschlagen hast?«
    »Er ist noch trauriger. Seine Augen leiden. Er kommt gekrochen und steckt den Kopf zwischen meine Beine. Und wenn ich einen Arm hebe, dann zuckt er bereits, legt die Ohren an, obwohl ich ihn nicht schlagen sondern streicheln will.«
    »Du würdest lieber nur mit ihm spielen.«
    »Ja. Aber Papa hat mir eine Aufgabe gestellt. In drei Monaten muss ich ihn so weit haben, dass er mir folgt. Sonst …«
    »Was ist sonst?«
    »Sonst nimmt er ihn mir weg.«
    »Und was macht er mit ihm?«
    »Er hat gedroht, dass er ihn erschießt. Mein Papa ist Jäger. Er darf das, sagt er.«
    »Henry, jetzt bist du ein Jahr älter. Dreizehn. Du gehst zur Schule und kommst mittags heim. Dein Hund erwartet dich.«
    »Nein, er erwartet mich nicht.« Henry wurde unruhiger. Sein Oberkörper begann zu zucken. Er riss die Augen auf. »Er kann mich nicht mehr erwarten.«
    »Hat er denn nicht alles gelernt?« »Doch, er hat alles gelernt. Alles«, stieß Henry zwischen den Lippen hervor. »Aber Papa ging es nicht schnell genug. Und einmal hat er Papa sogar gebissen, als dieser ihn mit einem Gürtel verprügelt hat.«
    »Hat dein Papa dich auch mit einem Gürtel verprügelt?«
    »Ja«, antwortete Henry hart. »Wie meinen Hund. Wir beide sind verprügelt worden.«
    »Was hat dein Papa gemacht, als der Hund ihn gebissen

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