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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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hat?«
    »Er hat ihn ins Auto geworfen und ist weggefahren. Und kam ohne ihn zurück. Er hat ihn verschenkt, sagte er.«
    »Hast du ihm geglaubt?«
    »Ja-«
    »Hast du ihm geglaubt?«
    »Ich glaube meinem Papa immer.«
    »Durftest du den Hund besuchen gehen?«
    »Er sei ganz weit weg, hat mein Papa gesagt.«
    »War er denn so lange aus dem Haus?«
    »Nein.«
    »Was hat er mit dem Hund gemacht?«
    Henry wollte antworten, aber er brachte die Worte nicht hervor. Ludevik ließ nicht locker. »Was hat er mit dem Hund gemacht?«
    »Mein Papa hat mich erschossen.«
    Warum Ludevik jeden zweiten oder dritten Tag am Haus der von Rönstedts vorbeifuhr, er wusste es nicht. Zeitungen lagen keine im Briefkasten, auch sonst keine Post. Henry hatte sicherlich alles abbestellt und gebeten, die Post in die Firma zu bringen. Oder wusste Ludevik doch, warum er immer wieder vorbeifuhr? Dachte er noch an die letzte Sitzung mit Henry? An ihn, seinen Vater und den Hund? Und an die schlimme Aussage von Henry: Mein Papa hat mich erschossen? Henry sah sich als Hund, weil er von seinen Eltern genauso behandelt wurde, wie er den Hund zu behandeln hatte?
    Als Ludevik nach ungefähr zehn Tagen erneut vor dem schmiedeeisernen Tor stand und das Haus beobachtete, fuhr ein Auto vor, eine Frau stieg aus und trat zögernd näher.
    »Kennen Sie Herrn von Rönstedt?«
    »Ja.« Ludevik nickte und betrachtete die Frau. Knapp über dreißig schätzte er, volle Lippen, glatte Haare mit einer kleinen Brille. Eine sehr gepflegte Erscheinung. Und tolle Beine hatte sie.
    »Prüfung bestanden?«
    »Entschuldigung.«
    »Ist Herr von Rönstedt immer noch nicht zurück?«, wollte sie wissen.
    »Kennen Sie ihn näher?«
    »Nein, eher seine verstorbene Frau. Wir waren … nein, Freundinnen waren wir noch nicht, aber wir kannten uns irgendwie sehr, sehr gut. Wir hatten vieles gemeinsam. Und wir hatten ähnliche Probleme.«
    »Wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
    »Carmen Sigallas.«
    »Klaus Ludevik.«
    Zwei Minuten später hatten sie sich auch beruflich bekannt gemacht. Und bei ihnen wurde sofort die Neugier spürbar. Langsam tasteten sie sich vor. Carmen gestand, dass Sarah ihre Patientin gewesen sei. Ludevik gestand, dass er Henry behandelt habe.
    »Der große von Rönstedt war bei Ihnen?« Carmen schien verwundert zu sein. »Das hätte ich nicht gedacht.«
    »Von Sarah hätte ich auch nicht gedacht, dass sie sich eine Brücke aussucht und in einem Trierer Krankenhaus landet. Und dann auch noch in Ihrer Abteilung.«
    »Was wären wir Menschen doch langweilig, wenn man immer wüsste, was der ein oder andere denkt, wie er sich verhält oder man ihm seine psychische Instabilität sofort ansehen könnte.«
    »Frau Kollegin, meinen Sie nicht, wir sollten uns einmal austauschen, was des Ehepaar von Rönstedt betrifft?«
    Carmen nickte. »Sarah wird es nicht mehr helfen. Aber heute geht es bei mir nicht. Sagen wir Ende der Woche? Samstag gegen fünfzehn Uhr?«
    »Einverstanden. Am besten auf neutralem Boden. Wie wäre es …«
    »Da gibt es doch auf dieser Saarseite beim Kunoturm einen Biergarten.«
    »Und bei schlechtem Wetter?«
    »Gleich daneben im Turm-Café.«
    Das Wetter ließ es zu, sie setzten sich ins Freie unter die weit ausladenden Linden und tranken Kaffee. Die ersten Minuten sprachen sie über Tiefdruckgebiete, die im Anmarsch waren und wohl Regen bringen würden, über die Touristen, die Saar und die Burg. Worüber sollte man auch sonst in Saarburg reden? Etwa über die Saarburger? Die, wie Ludevik meinte, sich immer in Grüppchen zusammenfanden, politisch, kulturell und berufsbedingt, schön fein sortiert und von der restlichen normalen Bevölkerung abgegrenzt, und sich dadurch selbst im Wege stünden, um über den Tellerrand schauen zu können. Ein oder zwei Gruppen meinten, sie seien die Auserwählten. Das ließen sie alle anderen spüren. Der kölsche Klüngel sei nichts dagegen. Aber das Saarburger Phänomen gäbe es wohl überall. Er reagiere halt eben stärker, weil er all dies tagtäglich immer wieder aufs Neue mitbekomme. Besonders in der Praxis als Psychologe. Die Kinder, die er behandele, seien leider oft ein Spiegelbild der Eltern. Zu Hause werde, um ein gutes Bild nach außen abzugeben, vieles falsch gemacht und es würden Fährten gelegt, die die Psyche der Heranwachsenden für alle Zeiten negativ und einseitig beeinflussen.
    Wenig später, nach Überwindung der ersten Hemmschwelle, tasteten sie sich vor, inwieweit der andere bezüglich des

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