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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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Weinkeller zu sprechen, Henry nackt und mit einer Schleife um seinen Penis.
    »Der von Ihnen beschriebene Traum ist eindeutig sexueller Natur. Das blaue Schleifchen um den Penis, der Träumende ist ja nackt, symbolisiert, dass eine Frau ihm dieses Schleifchen umgebunden hat. Und er drückt auch die Hoffnung für den Träumenden aus, dass es eine Frau gewesen sein soll. Frauen oder Mütter nehmen für Jungen meist etwas Blaues.
    Davon zu trennen ist der Vorfall mit dem Pippimännchen. Es ist mit einem Holzstab geschlagen worden, von seiner Mutter, weil er in die Hose gemacht hat. Hier hat eine Mutter ihren Sohn bestraft für das Versagen des Ehemannes. Und sie hat ihn genau dort bestraft, an der gleichen Stelle, wo der Ehemann in ihren Augen versagt. Getröstet worden ist er von dem Kindermädchen.«
    Munzinger machte eine Pause, schaute zuerst zu Sarah dann an ihr vorbei aus dem Fenster. »Mich würde interessieren, welche Rolle dieses Kindermädchen im Leben des Träumenden gespielt hat oder immer noch spielt. War die Mutter durchgängig die Erziehende, die Bestrafende, und damit auch die Unnahbare, brachte sie ihm permanent keine Zärtlichkeit entgegen, zeigte sie permanent keine Gefühle? Wenn dem so ist, und für mich deutet vieles darauf hin, dann war der Träumende auf der Suche nach Anerkennung und Liebe. Vielleicht hat er beides bei dem Kindermädchen gefunden?«
    Carmen wollte Sarah etwas Ablenkung verschaffen und lud sie ins Theater ein. Romeo und Julia werde gespielt, modern und der Zeit angepasst, solle aber im Ursprung, wie sie gehört habe, doch noch auf Shakespeare zurückgehen.
    Sie hatten einen guten Platz in der fünften Reihe. Und neben Sarah saß ein Mann, etwas größer als sie, mit Brille und leicht schütterem Stirnhaar, der den ganzen Text auswendig zu kennen schien. Mehrfach hörte sie, wie er ihn leise vor sich hin murmelte: »Und bist du in des Teufels Bahn, dann unterliegst du deines Ruhmes Wahn.«
    In der Pause, Sarah und Carmen tranken ein Glas Sekt, stellte sich ihr Nachbar neben sie.
    »Wie gefällt Ihnen das Stück?«
    »Ich weiß nicht so recht«, antwortete Sarah und betrachtete sich den Mann. Er trug eine karierte Jacke mit Lederflicken auf den Ellenbogen. Und darunter ausgewaschene Jeans.
    »Es kommt Ihnen so vor, als versuche jemand mit Graffiti die Mona Lisa zu verschönern. Ist es nicht so?«
    »Ob das Shakespeare so gewollt hat?«, antwortete Sarah ausweichend.
    »Nun, auch er wird der Zeit angepasst und sprachlich gepierct. Dramaturgisch gepierct«, fügte der Mann mit der Brille hinzu. »Es ist nicht eine Frage des Geschmacks, es ist eher eine Frage der Extravaganz einen Regisseurs oder Intendanten, der meint, er könne einem alten Klassiker noch etwas beibringen. Und zwar etwas Zeitgemäßes. Dabei merkt der Betreffende nicht, dass jeder diesbezügliche Versuch ein Widerspruch in sich selbst ist. Sonst wären sie ja keine Klassiker. Verstehen Sie, was ich meine?«
    Carmen, die etwas abseits gestanden hatte, trat näher. »Wie ich sehe, habt ihr euch bekannt gemacht.«
    Sarah schaut die Ärztin irritiert an.
    »Ihr kennt euch doch schon seit geraumer Zeit«, verdeutlichte Carmen. Der Mann lächelte, als wisse er, worauf Carmen anspielte. Aber Sarah verstand immer noch nicht.
    »Ich sehe diesen Herrn heute zum ersten Mal.«
    »Falsch.« Carmen sprach dieses eine Wort so betont aus, dass Sarah ihr wiederum einen seltsamen Blick zuwarf. »Um deinem Gedächtnis etwas auf die Sprünge zu helfen, das hier ist Herr Wellstein. Helmut Wellstein.«
    »Sarah von Rönstedt.« Sie nickte dem Mann verunsichert zu.
    »Ich weiß«, antwortete Wellstein. »Es freut mich, dass es Ihnen gut geht.«
    Sarah schaute zwischen den beiden hin und her.
    Mit ernster Stimme löste Carmen das Rätsel. »Herr Wellstein hat dich vor zwei Monaten auf der Brücke gesehen und vor etwas sehr Schlimmem bewahrt. Ich habe mir gedacht, dass du ihn vielleicht persönlich kennenlernen willst.«
    »O ja, natürlich«, murmelte Sarah, die sich überrumpelt fühlte.
    Der Gong ertönte zum dritten Mal, sie gingen wieder auf ihre Plätze. Verstohlen musterte Sarah den neben ihr sitzenden Mann. Sie kam sich entblößt vor, so ohne Vorwarnung mit ihrem Retter konfrontiert zu werden. Aber der hatte nur Augen und Ohren für Shakespeare, murmelte seinen Text vor sich hin und schien in seiner Rolle des Mitspielenden aufzugehen.
    Sarah hätte gerne nein gesagt, als Carmen anschließend vorschlug, doch noch gemeinsam auf ein

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