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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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wobei letzterem unzweifelhaft die wichtigste Bedeutung zukomme.
    »Mein Traum, in dem ich den Tisch nicht richtig gedeckt, das Besteck vertauscht hatte und deshalb mein Partner ausrastete, weil seine Ordnung gestört war – ich hatte ihn nur ein Mal, und zwar fast zwei Jahre nach dem Vorfall. Warum nicht gleich danach, oder eine Woche später?«
    »Ich gehe davon aus, es handelt sich um ihren Mann und die Ehe ist vielleicht, wenn zwei Jahre dazwischen liegen, nicht mehr zu retten«, mutmaßte der Psychoanalytiker richtig. »Dann hat es aus meiner Sicht einen Impuls gegeben, ein Vorfall, ein Telefonat oder sonst etwas, vielleicht auch ein ahnungsvolles Gefühl, der diesen Traum ausgelöst hat.«
    Sarah erinnerte sich, dass sie kurz vorher Carmen getroffen und den Abend mit dem alltäglichen Ritual des Vergessens, ein paar Cognac im Wohnzimmer mit Blick auf den gegenüberliegenden Stadtteil, eingeleitet hatte.
    »Alkohol könnte auch ein Impuls sein«, bemerkte Munzinger, als hätte er ihre Gedanken erraten. »Alkohol kann gewisse Verdrängungsmechanismen neutralisieren und aufheben. Schon liegt die Psyche blank, der Weg zum Unbewussten ist geebnet.«
    Als Sarah nicht antwortete, sprach Munzinger weiter: »Freud geht meist von einem sexuellen Impuls aus. Dieser Vorfall ist jedoch total ohne Sex und genauso anregend wie eine … Bahnfahrt.«
    »Und wie ist es mit dem Partner? Ist er auch langweilig wie … eine Bahnfahrt oder vielleicht doch eher eine kleine erotische Bombe?«
    Ein Blick in Sarahs Gesicht zeigte Munzinger, dass er richtig lag.
    Sarah sträubte sich, den für Außenstehende widersprüchlichen Traum von der Vergewaltigung durch Henry zu erzählen. Zuerst die erotisierende, sexuelle Erregung, weil sie dachte, sie träume tatsächlich, und dann wie ein Faustschlag die Erkenntnis, es war Wirklichkeit.
    »Und was besagt der Traum mit dem Weinkeller? Mit dem Einsperren?«
    »Der jedoch nicht von Ihnen stammt, sondern von Ihrem … Ehemann. Habe ich recht?«
    »Egal. Was besagt er?«
    Munzinger zögerte mit der Antwort. »Es könnte sein, dass er in einer Traumkaskade eingebettet war. Dabei kann es vorkommen, dass ein Traum auf dem anderen aufbaut. Ich kenne nun die vorangegangenen nicht. Außerdem könnte ein Traum auch ein Transportmittel sein, um das Unbewusste ans Tageslicht, sprich ins Bewusste zu bringen. Ein Traum wäre somit in seiner Funktion ähnlich einem Katalysator, also eine Art Umleitung oder Umwandlung, weil wir uns nicht direkt aus der Ebene des Bewussten in die des Unbewussten begeben können. Sie verstehen, was ich meine?«
    »Ja, ich glaube schon. Das bedeutet in meinen Augen, wir können nur über den Vertreter des Unbewussten, also die Fehlhandlung, auf den dynamischen, sie auslösenden Vorgang schließen.«
    Munzingers Augen wurden groß, er nickte anerkennend. »Hatten Sie schon mal mit dem Metier zu tun gehabt?«
    »Nein«, antwortete Sarah. Dass sie sich schon wiederholt mit Psychoanalyse beschäftigt hatte, auf einem für Normalbürger verständlichen Niveau, brauchte der Psychoanalytiker nicht zu wissen.
    »Jeder Vorgang der Verdrängung ist mit einem bestimmten psychischen Prozess gekoppelt, Frau Rudolph. Um auf den Keller zurückzukommen: Dort eingesperrt und allein zu sein, bedeutet in diesem Fall Angst. Die Engelstimme hat der Träumende wirklich gehört, weil sie ihm das Gefühl gab, da gibt es noch jemand. Und es war ja auch eine Frauenstimme. Frauen wagen sich ja nicht in solch gefährliche Situationen vor wie Männer, meint man landläufig, dadurch wurde für den Träumenden die Gefahr als nicht so schlimm eingestuft.«. »Ist die Engelstimme nicht auch eine Art Sehnsucht?«, gab Sarah zu bedenken. »Sehnsucht danach, dass sich endlich einmal eine Frau mit ihm beschäftigt?«
    »Zweifellos«, gab ihr Munzinger Recht. »Einmal Sehnsucht – sie geht zurück auf einen unbewussten, meist sexuellen Impuls, wie Sie richtig bemerkten –, zum anderen jedoch auch Erinnerung. Vielleicht gab es im Leben des Träumenden eine Stimme, die er als Engelstimme in Erinnerung hat und gerne wieder hören würde. Weil sich mit ihr angenehme Momente verbinden? Schöne, aufregende und erfüllende Stunden? Könnten Sie nicht damit gemeint sein?«
    Sarah fühlte, wie sie unter dem Blick des Psychoanalytikers errötete. Und sie gestand sich ein, gegenüber Henry in der weit zurückliegenden Vergangenheit vielleicht auch einmal eine Engelstimme gehabt zu haben.
    Sarah kam auf einen weiteren Traum im

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