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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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warf Sarah ihren Blumenstrauß in die Gruppe der noch nicht verheirateten Mädchen. Die ihn gefangen hatte, juchzte laut und lief zu ihren Eltern.
    Sarah und Henry setzten sich gegen Mitternacht auf eine Bank und schauten hoch zum Himmel.
    »Ich werde dir jeden Tag einen Stern herunterholen«, versprach Henry und küsste sie. »Jeden Tag.«
    »Einer pro Jahr genügt«, meinte sie und war selig.
    »Heute Nacht fangen wir offiziell damit an.«
    »Womit?«
    »Seid fruchtbar und mehret euch. Dein Vater möchte unbedingt ein Enkelchen haben.«
    »Junge oder Mädchen?«
    Henry war es gleichgültig.
    »Du brauchst doch einen Stammhalter, der später deine Firma übernimmt«, meinte Sarah. Sie sah ihren Vater auf sie zukommen. Als ihr Vater die beiden erblickte, blieb er stehen, schien zu verharren, dann schwenkte er in eine andere Richtung.
    »Stimmt etwas nicht«, stellte sie ihn zur Rede.
    »Meine Fee, ich möchte das junge Glück nicht stören.«
    Sie drehte sein Gesicht in den Lichtschein einer Lampe. »Du kommst mir so …, so seltsam vor. Was ist mit dir?«
    »Mit mir ist alles in Ordnung.«
    Sie glaubte ihm nicht so recht, etwas schien ihn zu bedrücken. Trotzdem fragte sie nicht nach, hakte sich bei ihm unter, und gemeinsam schlenderten sie zu den Ställen. Gedämpft war das Schnauben und Schaben der Pferde zu hören. Und es roch nach ihnen und nach Stroh. Ab und zu schaute auch ein vorwitziger Kopf über die hohe Holztür.
    »Ich freue mich, dass du so glücklich bist, Sarah.« Er drückte ihre Hand.
    »Aber du siehst gar nicht so glücklich aus. Bedrückt dich etwas?«
    Er atmete tief durch. »Jedem Vater geht es so wie mir heute, wenn seine Tochter, und dann auch noch die einzige, heiratet. Er verliert etwas und gibt es an einen anderen Mann ab. Und das tut schon ein bisschen weh.«
    »Aber es kommt doch nicht plötzlich. Du kennst Henry schon seit langem. Und du bist stolz auf deinen Schwiegersohn.«
    »Trotzdem, mein Mädchen. Ich habe nun niemanden mehr. Keine Familie, keine Verwandtschaft, niemanden.«
    »Wir wohnen gerade mal zwanzig Kilometer voneinander entfernt. In gut zehn Minuten bin ich bei dir.«
    »Ja, in zehn Minuten.« Sie sah, wie er lächelte. »Aber als du noch bei uns im Haus warst, dauerte es keine zehn Sekunden. Dazwischen liegen Welten. Zehn Minuten sind für einen spontanen Kuss viel zu weit.«
    Sarah blieb stehen und schaute ihrem Vater ins Gesicht. »Kann es sein, dass da jemand etwas eifersüchtig ist?«
    Er nickte. »Das wird es sein. Jeder Vater ist eifersüchtig auf seinen Schwiegersohn. Warum also nicht auch ich?«
    Sarah war nachdenklich geworden durch das Gespräch mit ihrem Vater. Aber als sie wieder bei Henry war, konnte er sofort all ihre Bedenken zerstreuen. Er nahm sie einfach in den Arm und küsste sie.
    Gegen zwei Uhr schlichen sie sich von der Hochzeitsgesellschaft heimlich hoch ins erste Stockwerk, wo Henry ein Zimmer gemietet hatte. Die Nacht würde unvergesslich bleiben für Sarah, ebenso wie der kommende Morgen und der kommende Tag.
    Sie saßen gegen elf Uhr am Frühstückstisch, als die Polizei vorfuhr.
    »Sind Sie Frau Sarah Zucker?«, fragte einer der Beamten.
    »Seit gestern Sarah von Rönstedt«, verbesserte ihn Henry.
    »Ist David Zucker aus Trier Ihr Vater?«
    Sarah nickte und ahnte Schlimmes. »Was ist mit ihm?«
    Der zweite Beamte schaltete sich ein. »Es tut uns leid, Ihnen die Nachricht überbringen zu müssen, Frau Zucker …, äh …, Frau von Rönstedt, aber ihr Vater ist tot.«
    Wie immer, wenn sie diesen Traum hatte, und sie träumte ihn oft, wachte Sarah mit Tränen auf und weinte hemmungslos. Sie hatte sich in die Ecke des Ehebettes zusammengekauert, die Decke bis ans Kinn gezogen und weinte. Und sie verstand immer noch nicht, weshalb sich ihr Vater an ihrem Hochzeitstag umgebracht hatte. Etwa zur gleichen Zeit, als sie mit Henry hoch ins Zimmer gegangen war. Vergiftet hatte er sich. Und er hatte einen Abschiedsbrief hinterlassen, der mehr Fragen aufwarf, als er klärte. »Ich kann es nicht mehr aushalten«, hatte er geschrieben. »Und ich kann es nicht länger mit ansehen. Nichts ist mir geblieben, absolut nichts. So kann es nicht weitergehen. Lieber einen unehrenhaften Tod, als ein unehrenhaftes Leben. Sarah, verzeih mir, dass ich dir das antue. An deinem Hochzeitstag antue. Aber ich finde nicht mehr die Kraft, noch länger zu warten. Und sei nicht so traurig, denn ich gehe dahin, wo auch deine Mutter ist. Dann bin ich nicht mehr allein.«
    Sarah

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