Das Erwachen
war für sie ungewohnt.
»Ist dir nicht gut?«, wollte er wissen.
Weil sie den Kopf senkte, konnte sie nicht mitbekommen, wie er vage lächelte.
»Das vergeht und kommt wieder«, sprach er weiter, als er keine Antwort erhielt. »Aber dir brauche ich so etwas ja nicht zu sagen.«
Sie nickte abwesend.
Henry verabschiedete sich, wollte ihr einen Kuss geben, ließ es dann jedoch nach einem Blick in ihr Gesicht und streichelte flüchtig ihre Wange. So, wie man es bei kleinen Kindern tut, wenn sie artig waren. Als Gunst, als kleinen Liebesbeweis.
Wenig später kam ein Möbelwagen vorgefahren und stellte verschiedene Kisten in den Keller. Sarah achtete nicht darauf, was in ihnen war, schaute auch nicht auf den Lieferschein und unterschrieb ihn einfach.
Zum Mittagessen war Henry wieder zu Hause. Auf dem Arm trug er eine große Plastiktüte. Er zwängte sich an ihr vorbei, steuerte auf einen Sessel zu und breitete den Inhalt der Tüte vor sich aus.
»Blau und Rosa, wir sind für alles gerüstet«, meinte er gut gelaunt.
Sarah starrte die Babykleidung an, die Strampler und die Jäckchen, als sähe sie ein Phantom. Und dann starrte sie Henry an. Wollte er sie auf den Arm nehmen? Wieder eines seiner Spielchen inszenieren?
»Was soll das«, fragte sie nicht allzu höflich.
»Schatz, du brauchst kein Geheimnis daraus zu machen. Ich weiß alles.« Stolz wollte er auf sie zugehen, um sie in den Arm zu nehmen.
»Bleib’ mir vom Leibe. Ich frage dich noch mal: Was soll das?«
»Aber Schatz, darf ich es denn nicht wissen? Willst du es denn nicht endlich zugeben?«
»Was zugeben?«
»Dass du ein Baby erwartest.«
Sarah war für einen Augenblick wie versteinert, dann lachte sie so schrill, dass es ihr in den eigenen Ohren schmerzte. »Ich ein Baby erwarte?« Erneut lachte sie und schlug die Hände vors Gesicht. Ihr Lachen erstarb, sie wurde sich der makabren Situation bewusst.
Henry stand vor ihr und verstand die Welt nicht mehr. »Aber ich habe es doch schwarz auf weiß«, protestierte er verhalten. »Hier, lies bitte selbst.«
Er überreichte Sarah einen Brief, der an die Firma adressiert war. Und darin wurde durch ein Häkchen bestätigt, dass der Schwangerschaftstest positiv ausgefallen sei. Genau so positiv wie der erste Schnelltest in der Praxis.
Zuerst dachte Sarah, ihre Beine knickten ein. Dann glaubte sie, die Hintergründe zu erkennen. Sie stürzte ans Telefon und rief den Frauenarzt an. Er war noch in der Praxis und bestätigte ihr, dass sie nicht schwanger sei. Wie denn das Häkchen auf dem Vordruck an die falsche Stelle komme, wollte sie wissen. Das konnte er ihr nicht erklären.
»Von dir bekomme ich kein Kind, mein lieber Henry. Nie im Leben. Lieber …«
»Lieber bringst du dich um.«
»Genau. Lieber bringe ich mich um.«
Innerhalb von zwei Sekunden veränderte sich Henrys Gesicht zu einer Maske. Starr, ohne Leben, kalt. Er wandte sich ab und verließ den Raum. Sarah nahm die Babykleidung und warf sie hinter ihm her. Dann war es mit ihrer Fassung vorbei. Schluchzend verschanzte sie sich im Schlafzimmer und weinte. Wieder einmal weinte sie.
Schon einmal hatte sie wegen eines Babys geweint. Das war vier Wochen nach dem Vorfall in Südafrika.
Carmen willigte sofort ein, sich mit ihr in Saarburg zu treffen. In einem Ferienpark auf der Höhe, gleich rechter Hand, wenn man von Kanzem kommend in die Stadt fährt. Sogar ein Sessellift verband den Park mit der Unterstadt. Im Sommer war er täglich in Betrieb. In Saarburg kursiert seit Jahren das Gerücht, dass einmal zur Winterzeit, vielleicht fielen gerade zufällig auch ein paar Schneeflocken, ein Holländer an der Talstation einen Skipass erstehen wollte. Weil er dachte, es ginge hier hoch in die Berge. Und für den Holländer waren die Berge sicherlich schon sehr hoch gewesen.
»Kann es sein, dass ich gestern Mary in Trier gesehen habe?«, fragte Carmen, gleich nachdem sie sich begrüßt hatten.
»Schon möglich. Sie hatte ihren freien Tag.«
»Aber das biedere Mädchen sah vollkommen anders aus. Enges Kleid, Stöckelschuhe, eine moderne Brille, die Haare hochgesteckt, richtig schick. Und sie war in Begleitung eines Mannes.«
»In Begleitung eines Mannes?«, wiederholte Sarah ungläubig und lachte. Da musst du dich allerdings sehr getäuscht haben.
Außerdem würde Mary sich so, wie du es geschildert hast, nie anziehen. Noch nicht einmal zu Fasching. Eigentlich schade um sie. Etwas mehr aus sich machen könnte sie schon.«
»Vielleicht habe ich
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